Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Holdenstede, wenn ich Euch erzähle, dass nach Eurer Abreise aus Hamburg ein wilder Streit bei der Ratssitzung entbrannte. Grund dafür waren die Ungerechtigkeiten, die Euer Bruder Conrad Euch in den letzten Jahren angedeihen ließ.«
Albert wusste im ersten Moment nicht, ob er sich darüber freuen oder ob er beschämt sein sollte, da er sich anscheinend so offensichtlich von Conrad hatte herumstoßen lassen. Skeptisch antwortete er: »Ihr seht mich tatsächlich hocherstaunt. Wie kam es dazu?«
»Ecbert von Harn war dafür verantwortlich. Als er hörte, dass Conrad Euch so spät im Jahr nach Flandern sandte, unterstellte er Eurem Bruder, dass er Euch in der Hoffnung fortschickte, dass Ihr in Gent überwintern müsst und so den Wahltag für die neuen Ratsherren im Februar verpasst. Schließlich hattet Ihr dieses Jahr das Mindesteintrittsalter von fünfundzwanzig Jahren erreicht. Als der Streit zwischen Ecbert von Harn und Eurem Bruder gerade auf dem Höhepunkt war, nahm sich auch Bertram Schele Eures Falls an und tadelte Conrads einseitige Machtausübung. Er sagte, dass dies nicht im Sinne Eures werten Herrn Vaters, Conradus von Holdenstede, gewesen wäre, dessen Absichten er meinte, gut zu kennen, da er ihm zeit seines Lebens ein wahrer Freund gewesen war.«
Albert war überaus erstaunt über diese Neuigkeiten. Niemals hätte er sich träumen lassen, über so einflussreiche Fürsprecher zu verfügen.
»Sicher wollt Ihr nun wissen, wie dieser Streit geendet hat, richtig?« Esich setzte ein feierliches Gesicht auf. »Nun, ich freue mich, Euch heute wenigstens eine frohe Kunde überbringen zu dürfen. Bertram Schele schlug Euch für die nächste Wahl als Kandidaten für den sitzenden Rat vor, und eine anschließende Abstimmung ergab eine Mehrheit für Euch. Herzlichen Glückwunsch, Albert von Holdenstede. Nächstes Jahr werdet Ihr zum Ratsmann – das heißt, sofern Ihr annehmt.«
»Ha, was für eine Frage«, stieß Albert aus. »Natürlich nehme ich an. Ich … bin sprachlos.« Albert erlebte einen Wechsel der Gefühle. Obwohl die Nachricht über Ragnhild und seine Kinder ihn sehr getroffen hatte, zauberte der Entschluss der Ratsherren nun doch ein schiefes Lachen auf seine Lippen. Die nächste Wahl im Februar war zwar noch fast ein ganzes Jahr hin, aber allein die Aussicht auf einen Stuhl im Rat beflügelte ihn bereits. Schließlich hieß das auch, dass Conrad entweder ein Mitglied des alten Rates werden musste und er dann nur noch bei besonders entscheidenden Sitzungen hinzugebeten wurde oder dass er den Rat ganz zu verlassen hatte.
Doch sosehr ihn diese Nachricht auch beschwingte, es war bei Weitem nicht alles, was es zu bereden gab. Zig Dinge waren noch ungeklärt und zig Fragen noch ungestellt. Wie genau sollte es nun weitergehen? Wo würde er wohnen und wie sollte er, ohne Vermögen, eigene Geschäfte führen? Eines war ihm genau wie allen Anwesenden klar: Albert würde niemals wieder in das Haus in der Reichenstraße ziehen. Er war den Weisungen Conrads nun unabänderlich entwachsen!
Albert selbst hatte das Gefühl, auf seiner Reise um viele Jahre gereift zu sein. Sein altes Leben gab es nicht mehr, und sein neues lag direkt vor ihm. Noch wusste er zwar nicht, wie schwer es für ihn werden würde, doch er verspürte keinen Zweifel, dass es ihm eines Tages gelingen würde, wieder glücklich zu sein.
Fast schien der Bürgermeister Alberts Gedanken erraten zu haben. »Ich versichere Euch, dass der Rat sich Eures Falls ehest annehmen wird, damit die Besitzverhältnisse der von Holdenstedes alsbald überprüft werden können. Bis dahin allerdings müsst Ihr Euch noch gedulden.«
Als Geste des Wohlwollens bot Esich ihm und seinen Freunden eine Kammer in seinem eigenen Hause an. Doch dieses Angebot lehnten die Freunde gemeinschaftlich dankend ab. Kein Reichtum und kein noch so weiches Bett konnten gerade das ersetzen, was sie alle meinten, nun am meisten zu brauchen. Sie wollten sich im Kreise von Menschen wissen, die sie ihre Freunde nannten; und sie wollten zusammen sein; genau so, wie sie es die letzten Tage und Nächte immer gewesen waren.
Zusammen verließen sie das Haus des Bürgermeisters und gingen geradewegs in das Viertel der Fischer. Dort pochten sie an eine kleine, windschiefe Hütte, deren Tür sogleich von einer etwas mürrisch dreinschauenden Frau geöffnet wurde. Ihr lauter Freudenschrei ließ die Männer auflachen, und wenig später saßen sie alle drei mit Heyno und Ghesa an einem Tisch.
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