Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
verheiraten, überhaupt erst gemacht hatte.
Seit Alberts Ankunft in Hamburg hatten die Brüder kein einziges Wort miteinander gewechselt. Weder suchte Albert das Gespräch in der Reichenstraße noch Conrad selbiges auf der Grimm-Insel. Die zerstrittenen Brüder verspürten kein Bedürfnis danach; und beide waren sich unbewusst einig, dass sie dem anderen den Einlass in ihr Haus verwehrt hätten. Nichts war zwischen ihnen geblieben als eine unüberwindliche Feindschaft.
Albert war überzeugt davon, dass Conrad ihn in der Fremde hatte töten wollen, doch er würde es niemals beweisen können. Nur er selbst wurde jeden Tag aufs Neue daran erinnert – immer dann, wenn er seinen fehlenden Ringfinger an der Rechten betrachtete.
Conrad hingegen fühlte sich schlussendlich als Gewinner. Auch wenn er Albert eine gewisse Erbsumme hatte zahlen müssen, war der größte Teil des Vermögens in seiner Hand geblieben. Doch ganz offensichtlich gab es etwas, das er weit unterschätzte. Conrad konnte nicht ahnen, dass sein kleiner Bruder in den letzten Wochen zu einem willensstarken Mann herangewachsen war und dass ihn das Erlebte hatte eisern werden lassen. Diese neu gewonnene Entschlossenheit war es auch, welche Albert dazu befähigte, Conrad ohne einen Anflug von Skrupel vor das Vogtgericht von Hamburg zu zerren.
Es war fraglich, wann eine Gerichtsverhandlung das letzte Mal so viel Aufmerksamkeit erregt hatte. An jedem der drei Tage, die das Vogtgericht für die Lösung dieses Falls tagte, waren unzählige Schaulustige gegenwärtig. Dabei war es nur allzu offensichtlich, dass nicht der Inhalt des verhandelten Falls das vorrangige Interesse der Bürger weckte.
Albert und Conrad hassten einander mit solch heftiger Leidenschaft, dass das eigentlich ehrwürdige Ereignis eines Vogtgerichts zu einem skurrilen Spektakel wurde. Zu Recht hatten viele Hamburger berechtigte Zweifel, ob die zwei Mannslängen, die die Männer voneinander getrennt saßen, ausreichend waren, um einen plötzlichen Übergriff zu verhindern.
Schnell wurde klar, dass Conrad seine Münzen eher in das Nikolaifleet geworfen hätte, als sie seinem Bruder freiwillig zu geben. Albert indessen machte deutlich, dass er bereit war, Fürsten, Könige und Kaiser mit seinem Anliegen zu ersuchen, damit ihm endlich Gerechtigkeit widerfuhr. Kein Mann kam dem anderen auch nur das kleinste Stückchen entgegen, und so wurde diese Verhandlung zu einer, die man viele Jahre lang nicht vergessen würde.
Der erste Tag verging mit dem bloßen Feststellen der Tatsachen, doch schon hier gab es heftigen Streit. Während Conrad behauptete, Albert hätte sich geweigert, vor seiner Abreise ein Testament zu verfassen, und würde somit einen Großteil seiner jetzigen Armut selbst verschulden, hielt es Albert nicht mehr auf seinem Stuhl. Allein der blitzschnellen Reaktion seines Freundes Thiderich war es zu verdanken, dass er erfolgreich zurückgezerrt wurde und man ihn so daran hinderte, Conrad wegen dessen Lüge an den Hals zu springen. Doch die heftigen Verwünschungen, die er in Gegenwart des Gerichts ausgestoßen hatte, kosteten ihn die erste Geldstrafe.
Als Conrad hingegen von Albert angeklagt wurde, damals das schlechteste Schiff im Hafen für die gefahrenreiche Winterreise nach Flandern angeheuert zu haben, war es wiederum Conrad, der eine Geldstrafe wegen wüster Reden auferlegt bekam. Beide Brüder sollten am Ende der drei Tage mit so hohen Bußgeldern belastet sein, dass sie diese bloß in mehrfachen Raten abzuzahlen vermochten.
Der zweite Tag diente den Aussagen der Zeugen. Conrad versuchte, seine Glaubwürdigkeit durch Willekin von Horborg, Hans Wulfhagen und Hinrich Cruse zu beweisen. Es waren gute Zeugen. Ehrbare Männer mit tadellosem Ruf. Doch Albert konnte mit Zeugen glänzen, deren Aussagekraft weit stärker war als die der Zeugen Conrads. Für ihn traten Bertram Schele und Ecbert von Harn ein. Sie sprachen sich zum einen für Alberts tadellosen Gehorsam während der vier Jahre nach der Testamentsverkündung des Vaters – ihres Freundes – aus und betonten überdies noch, wie sehr sie Conrads vergangenes Verhalten seinem Bruder gegenüber missbilligten. Auch wenn es unschwer zu erkennen war, dass Conrad die beiden Ratsherren am liebsten auf der Stelle erstochen hätte, wagte selbst er nicht, in gewohnter Schärfe gegen sie zu argumentieren. Der zweite Verhandlungstag verging, ohne dass der Vogt ein Urteil fällte. Erst der dritte Tag brachte die erwünschte Wende.
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