Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
verbrennen. Doch Albert war gekommen, um sie im letzten Moment vor diesem schrecklichen Tod zu bewahren, indem er sein eigenes Leben für sie riskiert hatte.
Ragnhild war überwältigt von ihren Gefühlen, und als sie spürte, dass Alberts Hand die ihre suchte, nahm sie dieses Angebot nur allzu gern an.
Der Schrei, den Luburgis ausstieß, als sie vom Getöse der einstürzenden Katharinen-Kirche erwachte, hätte sehr wahrscheinlich Tote wecken können.
Der schlafende Conrad erschrak jedenfalls so sehr, dass er augenblicklich Arme und Beine in die Höhe warf und dabei unsanft aus seinem Bett fiel. Höchst verärgert über diese Art, geweckt zu werden, wollte er sein Weib fragen, welcher Dämon in sie gefahren sei, doch dann bemerkte er sogleich den Geruch des Feuers. Ohne ein weiteres Wort rannte Conrad, nackt wie er war, nach unten und riss die Tür auf. Was er draußen zu sehen und zu hören bekam, ließ ihn wahrhaftig an seinen Sinnen zweifeln.
Die Reichenstraße war in glutrotes Licht getaucht. Dort, wo am gestrigen Tage noch der blaue Sommerhimmel gewesen war, züngelten sich nun teuflische Flammen empor, als wollten sie bis zu den Sternen reichen. Auf den Straßen rannten Massen von schreienden Menschen umher, deren Gesichter von Panik gezeichnet waren. Keiner unter ihnen trug mehr mit sich als das, was er am Leibe hatte. Niemand schien auch nur die geringsten Anstalten zu machen, das Feuer löschen zu wollen. Conrad wusste, was das bedeutete. Es war zu spät. Die Stadt würde niederbrennen!
Noch während er wieder die Treppe hinaufrannte, brüllte er die Namen seiner Stiefsöhne und wiederholte immer wieder das Wort Feuer . Schnell waren alle Bewohner des Hauses geweckt und verließen nur Augenblicke später fluchtartig das Gebäude.
Auf den Straßen schlug ihnen heiße Luft entgegen. Funken sprühten hoch in den Himmel, immer dann, wenn wieder ein brennendes Haus in sich zusammenkrachte. Der Lärm war furchterregend, und das Licht der Flammen brannte in den Augen.
Conrad, Luburgis, Godeke und Johannes rannten vorweg. Dicht hinter ihnen folgten ihre Mägde. Marga musste ihre Mutter stützen, denn seit geraumer Zeit wurde diese regelmäßig von einem heftigen Schmerz in den Gelenken befallen. Ausgerechnet in den letzten Tagen war der Schmerz besonders schlimm gewesen. Bei jedem Schritt verzerrte Hilda das Gesicht vor Qual, doch Marga zog sie unerbittlich weiter.
Obwohl ein jeder von ihnen die Straßen Hamburgs seit seiner Kindheit kannte, wurde es zunehmend schwieriger, sich zu orientieren. Die Stadt hatte ihr Gesicht verändert. Gebäude, die gestern noch waren, gab es nun nicht mehr, und dort, wo sich ein Weg einst bahnte, verhinderten Trümmer plötzlich jedes Durchkommen. Um nicht in die falsche Richtung zu rennen, war es umso wichtiger, dass alle von Holdenstedes zusammenblieben. Doch Hildas schmerzende Glieder ließen die beiden Mägde zurückfallen. Panisch bemerkte Marga, dass sie sich immer weiter voneinander entfernten, und fing an, nach ihrem Herrn und den Zwillingen zu rufen. Sie rief, so laut sie konnte, und flehte um Hilfe, doch das Knacken und Knistern des brennenden Holzes und das Schreien der Flüchtenden um sie herum schienen jeden Laut zu schlucken.
Immer größer wurde der Abstand zwischen den beiden Gruppen, und als Marga die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, doch noch gehört zu werden, drehte sich Johannes tatsächlich zu ihr um. Er blieb stehen und blickte ihr aus der Entfernung direkt in die Augen. Dann musterte er sie von oben bis unten, wie er es immer tat, wenn sie ihn ankleidete. Noch nicht einmal in dieser Situation verließ ihn dieser lüsterne, leicht hämische Blick.
Doch die Magd achtete gar nicht darauf. Ihre Gedanken galten einzig und allein ihrer Mutter. »Herr! Hilfe! Bitte helft mir! Schnell!«, schrie Marga aus Leibeskräften und fuchtelte wild mit dem freien Arm. Gott sei Dank, er hatte ihr Rufen gehört. Nun würde er kommen. Doch die Magd hatte sich geirrt. Statt ihr zu Hilfe zu eilen und Hilda gemeinsam zu stützen, lächelte Johannes sie nur schief an und drehte sich langsam und grinsend wieder um. Niemals wäre er zurückgegangen und hätte sich für seine Mägde in Gefahr begeben. Noch bevor Marga tatsächlich begriff, dass er ihr nicht helfen würde, war er auch schon davongerannt.
»Nein, Herr! Wartet doch!«, entfuhr es Marga ungläubig. Einen winzigen Moment später waren alle vier verschwunden und Mutter und Tochter allein.
Marga rannen Tränen
Weitere Kostenlose Bücher