Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Vergangenheit immer gewünscht hatte. Sie faszinierte ihn mindestens so sehr, wie er sie verachtete. Marga war bloß eine Magd, und sie verdiente seine Aufmerksamkeit nicht, doch sein Körper sagte etwas anderes. Immer dann, wenn sie in seiner Nähe war, schoss ihm das Blut in die Lenden. Vielleicht war es der Altersunterschied von vierzehn Jahren, der ihn so anzog, oder auch die Tatsache, dass er über sie verfügen durfte. Doch was es auch war, es musste aufhören. Johannes konnte nicht zulassen, dass ein Weib solch eine Macht über ihn hatte. Hier und jetzt eröffnete sich ihm die Möglichkeit, sie für immer loszuwerden. Er wusste, wenn er jetzt ging, würde sie versuchen ihre Mutter allein zu retten, und das wäre ihr sicherer Tod.
Seine boshaften Gedanken ließen ihn schief grinsen. Nach einem letzten Blick auf die zusammengesunkene Hilda und die flehend daneben stehende Marga drehte sich Johannes langsam um und rannte zurück zu seinem Bruder und seinen Stiefeltern. Sie hatten sein Fehlen gar nicht bemerkt, und nur wenige Augenblicke später waren sie aus dem Sichtfeld Hildas und Margas verschwunden.
Conrad lief vorneweg und suchte verzweifelt einen Weg hinaus aus den Flammen. Alle waren sie nur noch von dem einen Gedanken beherrscht: Raus aus der Stadt! Immer wieder mussten sie umdrehen und einen neuen Weg suchen, weil sich vor ihnen eine Wand aus Feuer auftat. Bereits beim Verlassen des Hauses hatte Conrad bemerkt, dass ihnen nicht mehr viel Zeit für die Flucht bleiben würde, und tatsächlich war außer ihnen schon jetzt kaum noch ein Mensch in diesem Teil der Stadt unterwegs. Sei es Wunder oder Fluch – auf jeden Fall hatte Gott die Reichenstraße fast bis zum Schluss vom Feuer verschont. Einerseits waren sie deshalb nicht, wie viele andere, im Schlaf erstickt oder verbrannt, doch andererseits stand bereits ein Großteil der Stadt in Flammen und versperrte ihnen die Fluchtwege. Abermals mussten sie einen neuen Weg einschlagen. Alle hofften inbrünstig, dass sie über diese Straße nun endlich aus der Stadt kommen würden. Gerade als sie um die nächste Ecke hasteten, hörten sie vor sich ein dunkles Grollen, das für kurze Zeit sogar die unheilvollen Geräusche des Feuers übertönte. Kurz darauf ertönte das markerschütternde Schreien einer Frau.
Als sie sich der Szenerie näherten, sahen sie, dass es Hildegard von Horborg war, die um Hilfe geschrien hatte. Ganz offensichtlich waren sie und Willekin ebenso spät vom Feuer geweckt worden und nur wenige Augenblicke vor den von Holdenstedes zur Flucht aufgebrochen.
Conrad brauchte nicht lange, um die Lage zu überblicken. Sein Freund Willekin war unter einem riesigen Wagenrad eingeklemmt. Auf diesem Wagenrad lagen zwei dicke Holzbalken, deren Enden bereits in Brand standen. Sofort packte er seine Stiefsöhne und befahl ihnen zu helfen. Zu dritt schafften es die Männer mit einiger Mühe, den stöhnenden Willekin zu befreien, bevor die Flammen ihn erreicht hatten.
Vor Erleichterung weinend fiel Hildegard vor ihrem Ehemann auf die Knie und schlang ihre Arme um ihn. »Oh, Gott sei gepriesen«, stieß sie schluchzend aus.
Gerade wollte Conrad alle zur Eile drängen, als ihm etwas auffiel. Es war eigentlich nur eine Kleinigkeit; doch die Schlüsse, die er daraus zog, trafen ihn wie ein Hammerschlag.
Die sonst immer so fein gekleidete Hildegard trug einen befremdlich schäbig aussehenden braunen Umhang mit einer langen Kapuze. Das allein wäre in dieser besonderen Situation nicht verwunderlich gewesen. Alle Leute schliefen des Nachts nackt, und sicherlich hatten zig Frauen heute zu dem ersten Stofffetzen gegriffen, den sie in die Finger bekommen hatten. Doch dieser Umhang war ein besonderer Umhang. Conrad erkannte ihn sofort, und die Erinnerung presste ihm regelrecht die Luft aus den Lungen. Es war der gleiche Umhang wie der, den Johannes vom Berge und seine vermummten Gefährten getragen hatten, als sie Conrad im Verlies gefoltert und geschlagen hatten! Jeder Zweifel war ausgeschlossen; die schrecklichen Bilder dieser Nacht hatten sich unwiderruflich in Conrads Gedächtnis eingebrannt. Er war sich sicher, dass er die braunen Mäntel mit ihren auffälligen Kapuzen unter Tausenden erkannt hätte.
Auch wenn es Hildegard war, die den Mantel trug, wusste Conrad dennoch, dass sie nichts mit seinem Martyrium zu tun haben konnte. Sie war eine überaus gottesfürchtige Frau und hätte einer solchen Tat niemals zugestimmt. Außerdem waren die Fausthiebe
Weitere Kostenlose Bücher