Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
der Verzweiflung über das Gesicht, doch sie wollte nicht, dass ihre Mutter ihre Hoffnungslosigkeit bemerkte. Fast trotzig griff sie erneut nach Hildas Arm, um sich diesen über die Schulter zu legen.
Hilda jedoch war schon kaum noch bei sich vor Schmerz. Jede Bewegung peinigte sie so sehr, dass sie es nicht länger ertrug. Sie hatte schon längst aufgegeben. »Lass mich liegen, Kind. Ich kann nicht mehr weiter«, sagte sie mit letzter Kraft und ging in die Knie.
Genau diese Worte hatte Marga gefürchtet. Herzzerreißend schluchzte sie. »Mutter, sag so etwas nicht. Es ist nicht mehr weit. Bitte! Komm!« Mit letzter Kraft versuchte sie die alte Frau wieder aufzurichten, doch sie schaffte es nicht. »Mutter. Steh wieder auf. Wir müssen hier weg«, weinte Marga verzweifelt, doch Hilda schüttelte nur noch den Kopf.
Marga ließ den Körper Hildas sanft zu Boden gleiten. Der Schweiß tropfte ihr vom Gesicht. Schwarzer Rauch hüllte sie langsam ein und ließ die Frauen husten; die Sicht wurde immer schlechter. Panisch drehte sich Marga um sich selbst und schaute nach irgendjemandem, der ihr möglicherweise helfen konnte, doch es war niemand mehr zu sehen. Sie schienen tatsächlich die letzten Flüchtenden auf den Straßen zu sein – alle anderen hatten es entweder bereits geschafft, aus der Stadt zu kommen, oder waren verbrannt. Verzweifelt schrie sie um Hilfe, doch allein das Feuer kam unaufhaltsam näher! Marga beugte sich zu ihrer Mutter hinunter. Sie wusste, dass sie es allein nicht schaffen konnte. Entschlossen sagte sie: »Ich werde Hilfe holen, Mutter. Gleich bin ich wieder da, und dann bringe ich dich aus der Stadt.«
Die Mutter gab keine Antwort mehr.
Marga rannte los. Sie hatte keine Ahnung, wo genau sie suchen sollte oder ob derjenige, den sie vielleicht noch hier antraf, ihr auch wirklich helfen würde, doch sie musste es versuchen. Nachdem sie in der einen Straße niemanden gefunden hatte, rannte sie in die nächste und daraufhin in eine weitere. Auch hier war keine Seele mehr anzutreffen. Ihr Schreien wurde immer heiserer und verzweifelter. Immer wieder duckte sie sich instinktiv, sobald von irgendwoher ein lautes Geräusch ertönte. Noch nie zuvor hatte sie sich so sehr gefürchtet wie jetzt in diesem Augenblick. Sie wollte es nicht wahrhaben, doch bald ließ es sich nicht mehr verleugnen: Niemand war mehr hier; keiner würde ihr helfen. Sie musste zurück zu ihrer Mutter, um noch einmal zu versuchen, sie allein zu stützen. Je länger sie warteten, desto eher waren sie beide des Todes!
Marga hastete los. Sie bog einmal ab; dann noch einmal und noch einmal. Nirgends war ihre Mutter zu sehen. War sie hier tatsächlich richtig? Alles sah mit einem Mal gleich aus. Obwohl es glühend heiß um sie herum war, zitterte Marga vor Angst und Verzweiflung am ganzen Körper. In ihrer Panik fing sie an, nach ihrer Mutter zu rufen. Wo hatte sie sie zurückgelassen? Marga konnte den Platz nicht mehr finden. Bald schon meinte sie, in allen möglichen Straßen gewesen zu sein; doch von ihrer Mutter fehlte jede Spur.
Die Magd richtete ihre Sinne so sehr auf die Suche nach ihrer Mutter, dass sie gar nicht bemerkte, wie das Feuer sie nach und nach einschloss. Mit einem Mal fiel ihr auf, dass die Straße vor ihr versperrt war. In welche Richtung sie sich auch drehte, es erschloss sich ihr kein Ausweg mehr. Von Todesangst getrieben, entschied sie sich für die einzige Möglichkeit, die ihr noch blieb – und zwar für den Weg, auf dem sie gekommen war. Marga rannte zurück. Sie wusste schon lange nicht mehr, ob sie in die Stadt hinein- oder aus ihr herausrannte. Sie nahm einfach jede Straße, die sie überhaupt noch gehen konnte. Was damit einherging, war eine grausame Erkenntnis. Marga musste die Suche nach ihrer geliebten Mutter aufgeben, um ihr eigenes Leben zu retten!
Als sie schon dachte, es nicht mehr aus dem Feuer zu schaffen, sah sie plötzlich die Domspitze vor sich. Mit großer Erleichterung schlug sie ein Kreuz. Gott gab ihr ein Zeichen; nun konnte sie sich orientieren. Sie sammelte ihre letzten Kräfte und rannte in die Richtung, in der sie die Stadtmauer erahnte.
Johannes bemerkte als Einziger, dass die Mägde seiner Familie zurückfielen. Er blieb stehen und blickte Marga direkt ins Gesicht. Auch wenn es um ihn herum brannte und sein Leben in ernsthafter Gefahr war, konnte er dennoch nicht umhin, diesen Moment zu genießen.
Sie sah so ängstlich aus; genau so, wie er sich ihr Gesicht in der
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