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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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ihren Fesseln.
    »Albert … bist du es wirklich?«
    »Ja, ich bin es«, sagte Albert und strich ihr über das vom Rauch verschmutzte Gesicht. »Ich werde dich von hier fortbringen. Habe keine Angst.« Sofort darauf versuchte Albert die Knoten ihrer Fesseln zu lösen, doch er schaffte es nicht. Ohne lange zu zögern, trat er einen Schritt zurück und begann die vorstehenden Holzverzierungen des Bettes, an die Ragnhild angebunden war, mit heftigen Tritten zu bearbeiten.
    Mit großer Erleichterung sahen sie, dass Albert Erfolg hatte. Eines ihrer Beine war bereits befreit.
    »Symon ist einfach gegangen«, erklärte Ragnhild verzweifelt. »Als das Feuer ausbrach, verschwand er mit meinen beiden Söhnen, um mit ihnen nach Jacob zu suchen. Zuvor hat er mich an das Bett gefesselt, damit ich auch ja nicht fliehen würde. Grit sollte mich bewachen und niemanden einlassen. Er sagte, er würde uns holen kommen, sobald er Jacob gefunden hätte; doch er kam und kam nicht zurück. Ich hatte solche Angst!«
    Albert hatte Ragnhild mittlerweile aller Fesseln entledigt und half ihr auf. Hand in Hand rannten sie hinunter. Ein letzter Blick Alberts auf die Stelle, wo er Grit soeben zurückgelassen hatte, bestätigte, dass sie das Haus bereits verlassen haben musste. Dann rannten sie auf die brennende Straße.
    Das Feuer hatte die Niedernstraße erreicht, und alle Wege schienen zunächst durch die Flammen versperrt.
    Als Ragnhild die Feuersbrunst, die sie bisher nur gehört, aber nicht gesehen hatte, das erste Mal erblickte, war sie einer Panik nahe. Ein unkontrollierter Ausruf der Angst entfuhr ihrem Mund. Sie wollte stehen bleiben, doch Albert zog sie unerbittlich weiter. Ihre Glieder waren von den engen Fesseln taub geworden und machten ihr das Laufen schwer. Sie röchelte und hustete unentwegt. Als sie schon glaubte, ihre Beine würden sie nicht mehr tragen, zog Albert sie brüsk an sich heran und zwang sie, in sein Gesicht zu schauen.
    »Ragnhild, du darfst jetzt nicht aufgeben. Versprich mir, dass du durchhältst.«
    Ein winziges Nicken ihrerseits reichte Albert als Zustimmung. Dann umklammerte er ihre Hand noch fester und zog sie weiter hinter sich her. Mittlerweile waren keine Menschen mehr auf den Straßen zu sehen. Die Niedernstraße brannte lichterloh, und die ersten Häuser fielen bereits in sich zusammen. Albert spürte, wie seine Haare durch die Hitze versengt wurden. Der Weg über die Niedernstraße Richtung Osten hinaus aus der Stadt war durch ein zusammengestürztes Haus versperrt. Sie mussten wieder umdrehen. Albert sah nur noch einen Weg und zog Ragnhild ohne ein Wort weiter. Sie liefen Richtung Norden zur Steinstraße, wo das Feuer noch nicht ganz so heftig gewütet hatte, um durch dieses Tor der Stadtmauer nach draußen zu gelangen. Zu ihrer Linken lag das Beginenkloster, aus dem ebenfalls Flammen schlugen.
    Ragnhild fuhr ein Stich ins Herz. Genauso wenig wie sie wusste, wo sich ihre Söhne gerade befanden und ob sie überhaupt noch am Leben waren, wusste sie, wo Runa gerade war. Als sie die Stimme ihrer Tochter vor der Tür vernommen hatte, die gekommen war, um sie vor dem Feuer zu warnen, war Symon sofort aufgesprungen und hatte begonnen, seine Frau ans Bett zu fesseln. Ragnhild, die davon vollkommen überrascht worden war, wehrte sich, doch gegen die Kraft ihres weit schwereren Mannes war sie machtlos. Tatenlos musste sie zuhören, wie Runa von Grit an der Tür abgewiesen wurde. Seither war ihre Tochter einfach verschwunden, und Ragnhild betete stumm, sie möge in Sicherheit sein.
    In ihren Gedanken um Runa hatte Ragnhild fast vergessen, auf Albert zu achten. Dieser blieb plötzlich stehen, um nicht von einem herabfallenden Balken getroffen zu werden. Ragnhild schrie erschrocken auf, worauf Albert sie in die Arme schloss. Dann breitete er schützend seinen Mantel über ihrem Kopf aus und zwang sie weiter.
    Kurz darauf erreichten sie tatsächlich heil das Tor der Steinstraße. Nur wenige Schritte dahinter brach Ragnhild erschöpft zusammen. Albert trug sie mit letzter Kraft unter einen Baum und deckte sie mit seinem Mantel zu.
    Ragnhild wollte stark sein, doch sie konnte ihre Tränen nicht zurückhalten. Sie war erschöpft und weinte um das ungewisse Schicksal Runas und das ihrer Söhne, die Symon einfach fortgeschleppt hatte. Sie weinte, weil sie einer solchen Hölle entkommen war, und sie weinte, weil es Albert war, der sie davor gerettet hatte. Vor wenigen Minuten noch hatte sie gedroht, bei lebendigem Leibe zu

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