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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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einzigen Talglichts der Kammer schien mit der Helligkeit der Sonne zu strahlen und brannte in ihren Augen. Selbst durch den Stoff des Kleiderärmels fühlte sie die Hitze, die von ihrem Kopf ausging.

5
    Nachdem Conrad seinen Bruder Albert in die Stube des Hauses geführt und ihn in seinen Sessel gebeten hatte, schenkte er ihm, als unterstreichende Geste seiner Beglückwünschungen, eigenhändig Wein in den Becher, der eigentlich dem Familienoberhaupt gebührte. Diese ungeahnte Ehre beschämte den acht Jahre jüngeren Albert.
    Sie saßen zusammen wie in alten Zeiten, jenen Zeiten, als ihre Eltern noch lebten und das Geschäft und auch die Frauen noch keine Rolle in ihrem Leben gespielt hatten. Jenen Zeiten, in denen sie noch Freunde gewesen waren.
    »Albert, ich muss zugeben, das hast du gut hinbekommen«, lobte der Ältere ihn überschwänglich.
    »Bruder, du lässt mir zu viel der guten Worte zukommen. Schließlich ist es die Familie von Holdenstede, die gewachsen ist. Unsere Familie!«, wiegelte Albert ab. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals zuvor ein solches Lob von seinem Bruder erhalten zu haben. Völlig unerwartet wurde die unbändige Freude über die Geburt seiner Söhne nun auch noch mit dem warmen Gefühl von familiärer Herzlichkeit gekrönt, welches Albert seit vielen Jahren so schmerzlich zwischen ihm und seinem Bruder vermisst hatte. Er konnte nicht umhin zu hoffen, dass diese beiden winzigen Jungen vielleicht dazu beitragen würden, den Bruderstreit zwischen ihnen eines Tages beizulegen. Albert ahnte, wie schlimm es für Conrad sein musste, noch keine eigenen Kinder zu haben. Umso mehr freute er sich über die fast verschwenderischen Glückwünsche aus dem Munde eines stolzen Onkels.
    In diesem Augenblick bedauerte es Albert, dass Ragnhild diesen Tag wohl gänzlich verschlafen würde. Zu gerne hätte er sie an dieser frohen Stimmung, die langsam auf das ganze Haus überzugreifen schien, teilhaben lassen.
    Luburgis hatte zur Feier des Tages sogar die guten Becher aus der hellen rheinischen Pingsdorfer Keramik mit den typischen braunen Strichmustern auftragen lassen. Jeder Kaufmann Hamburgs, der etwas auf sich hielt, besaß dieses Geschirr und holte es hervor, wenn es etwas zu bejubeln gab.
    »Auf die Zwillinge!«
    Albert und Conrad hoben gleichzeitig ihre Becher und tranken sich zu. Langsam ließen sie den schweren Wein ihre Kehlen hinunterrinnen. Die Szenerie wirkte von außen so friedlich, so vertraut, dass ein Beobachter niemals auf die Idee gekommen wäre, hier etwas anderes als brüderliches Beisammensein zu beobachten. Doch dieser Schein trog. All das war Teil eines Plans. Nichts davon war echt!
    Conrad fragte sich, ob sein kleiner Bruder ihm die gespielte Freude wirklich abkaufte. Kein einziges Wort war ernst gemeint, jedes mit Mühe herausgepresst. Beim Anblick Alberts in dem Sessel, der eigentlich ihm zustand, mit dem Becher in der Hand, welcher ihm ebenso zustand, wurde ihm fast schlecht vor Zorn. Am liebsten hätte er vor seinen Füßen ausgespuckt. Doch damit sein Plan auch funktionierte, musste er gute Miene zum bösen Spiel machen. So beiläufig wie möglich sagte er: »Willekin wird heute zum Mahl kommen.«
    Albert verdrehte innerlich die Augen, doch er wollte den neu gewonnenen Frieden nicht strapazieren und ließ Conrad weiterreden.
    »Ich habe ihm ausrichten lassen, dass du ihn als Gevatter deiner Söhne wünschst.«
    »Du hast was getan?«, fragte Albert ungläubig und verschluckte sich dabei an seinem Wein.
    »Bruder, ich weiß, dass das für dich wohl zunächst unsinnig klingen mag, aber es wird Zeit, dass die Vergangenheit zur Ruhe kommt und ihr aufhört, euch aus dem Weg zu gehen. Welcher Anlass könnte hierfür besser geeignet sein als die Geburt deiner Söhne?«
    Albert schwankte zwischen Wut und Entsetzen. Wie konnte Conrad es wagen, den Gevatter seiner Söhne eigenmächtig auszuwählen? Doch er wusste ebenso genau, wovon sein Bruder sprach, als der die Vergangenheit erwähnte.
    Nach dem schandvollen Vorfall vor fünf Jahren war zwischen Albert und Willekin von Horborg kaum mehr ein Wort gefallen. Der stolze Kaufmann und Ratsherr hatte ihm niemals verziehen. Lange Zeit gab es keinen Frieden zwischen den beiden Familien, doch irgendwann war es Conrad schließlich doch gelungen, den aufgebrachten Ratsherrn zu besänftigen. Willekin von Horborg zeigte sich schließlich verhandlungsbereit und freundete sich indes sogar mit dem weit jüngeren Conrad an. Seither waren die von

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