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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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Horborgs, die ebenfalls in der Reichenstraße wohnten, wieder häufige Gäste im Hause von Holdenstede – leider sehr zum Missfallen Alberts, der sich sicher war, die Gunst Willekins für immer verspielt zu haben. »Wahrscheinlich hast du recht«, gab Albert deshalb gleichgültig zurück, ohne selbst von den Ansichten seines Bruders überzeugt zu sein.
    Conrad ignorierte den missmutigen Ton seines Bruders und fuhr einfach fort. »Gut, dass du endlich zur Vernunft kommst, Albert. Es gibt nämlich noch etwas anderes, das ich mit dir besprechen wollte. Einige der Schiffe aus Flandern, die ich noch erwarte, sind überfällig.«
    Albert horchte auf. Er verstand sofort. In spätestens vier Wochen würden die letzten flandrischen Tuchhandelsschiffe den Hafen verlassen. Um noch vor Einbruch des Winters wieder zurück in heimischen Gewässern zu sein, kamen die Händler lediglich in der Zeit von März bis November nach Hamburg. Spätestens Mitte November verließen sie den Hafen wieder. Jetzt war es schon Oktober, und das schlechter werdende Wetter setzte den Seeleuten bereits mächtig zu. Das alles war Albert bekannt und nicht im Geringsten ungewöhnlich. Es war hingegen aber höchst ungewöhnlich, dass Conrad wünschte, mit ihm über diese geschäftlichen Dinge zu reden. »Was genau willst du damit sagen, Conrad?«
    »Bruder«, begann dieser überaus vertrauensselig, »wie du weißt, blüht das Geschäft mit den Tuchen, und mir wächst die Arbeit über den Kopf. Du stehst kurz vor deinem fünfundzwanzigsten Geburtstag, und ich denke, ich sollte dir langsam etwas mehr Verantwortung zugestehen. Schließlich hast du in einem Monat deine Schuld Vater gegenüber abgebüßt und bekommst ein gehöriges Vermögen ausgezahlt. Du bist bald ein gemachter Mann, Albert. Und solche Männer übernehmen Verantwortung.« Mit Wohlgefallen sah Conrad, wie sich die Miene des Jüngeren aufhellte. Die sorgsam zurechtgelegten Worte würden ihre Wirkung nicht verfehlen; dessen war sich Conrad sicher.
    Albert traute seinen Ohren kaum und straffte instinktiv den Rücken, um stattlicher zu wirken. Endlich, dachte er voller Eifer, endlich bekomme ich die Möglichkeit, mich als Kaufmann zu beweisen! Übermütiger, als er wollte, sagte er: »Danke, Conrad. Wann immer du mich brauchst, bin ich bereit, voll in die Geschäfte mit einzusteigen.«
    Seit fast vier Jahren war ihr Vater bereits tot. Seither hatte Albert nur unwichtige Kleinstaufträge übernehmen dürfen, mit denen er eher schlecht als recht verdient hatte. Doch damit sollte nun bald Schluss sein. Er konnte es nicht erwarten, die Bürde des Testaments los zu sein und endlich sein eigenes Haus auf der Grimm-Insel fertigzubauen – doch dazu brauchte er Geld. Geld, welches er nur dann verdienen konnte, wenn er als eigenständiger Kaufmann arbeitete. Nachdem der zuständige Ratsherr, der die Speermaße festlegte, die die Abstände zu Straßen, Häusern und Fleeten regelten, ihm mitgeteilt hatte, dass er sein Fundament abermals versetzen musste, kam ihm das neu gewonnene Vertrauen Conrads gerade recht. Wenn das Glück ihm nun hold blieb, würde das Haus sicher zu Ostern fertig sein. Dieser Gedanke ließ ihn unvermittelt grinsen.
    Conrad bemerkte das und konnte seine Gefühle kaum noch beherrschen. Er hätte niemals gedacht, dass diese Worte ihm so viel Überwindung abverlangen würden. Gereizt stieß er sich von der Wand ab, an der er die ganze Zeit über gelehnt hatte, und hieb Albert noch einmal brüderlich die Hand auf die Schulter. »Ich habe noch zu tun. Wir sehen uns später beim Mahl.«
    Albert blieb mit seinen beflügelnden Gedanken allein zurück. Endlich hatte Conrad erkannt, dass mehr in ihm steckte als ein Laufbote. Dieser Tag war lange überfällig, schließlich waren andere Männer seines Alters bereits seit Jahren angesehene und erfolgreiche Kaufleute. Das Testament seines Vaters hatte ihn nun lange genug daran gehindert, selbst erfolgreich zu sein. Kopfnickend dachte er, wenn Vater mich wirklich mit seinem letzten Willen für den Ärger strafen wollte, den ich durch die widerrufene Hochzeit verursacht habe, so habe ich meine Schuld nun gebüßt. Ich werde es Conrad und allen anderen beweisen.
    Plötzlich erschien ihm die spätere Anwesenheit Willekins gar nicht mehr so bedrückend. Jetzt, da er sich bald selbst Tuchhändler würde nennen können, war auch Willekin gezwungen, ihm mit mehr Achtung gegenüberzutreten. Vielleicht war es genau richtig, ihn mit der Patenschaft seiner

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