Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Willekins. Er hatte sie geheiratet, nachdem seine erste Frau, die Mutter seiner einzigen Tochter Ingrid, frühzeitig gestorben war.
Hildegard war eine ruhige und besonnene Person, die so gar nicht zu ihrem weit älteren und aufbrausenden Ehemann passen wollte. Genauso ruhig, wie sie sich ihrem Mann gegenüber verhielt, benahm sie sich auch dem Gesinde gegenüber. Niemals schrie sie oder schlug gar jemanden. Doch so sanftmütig sie auch die meiste Zeit über wirkte, man durfte sie nicht unterschätzen.
Die kleine, stets streng und ordentlich gekleidete Hausherrin kam aus einer vornehmen Familie mit einem großen Haushalt. Sie hatte die Rolle der Hausherrin von Grund auf gelernt und zögerte nicht einen Wimpernschlag lang, Mägde oder Knechte bei wiederholten Fehltritten eiskalt zu ersetzen. Schnell begriff ein jeder unter ihr, dass man ein ruhiges Leben haben konnte, sofern man sich fügsam verhielt. Auch Ella hatte dies schnell verstanden und gehorchte ihrer Herrin aufs Wort. Anfänglich hatte ihr diese Strenge Schwierigkeiten bereitet, doch heute wusste sie die Gerechtigkeit Hildegard von Horborgs sogar zu schätzen.
Nachdem sie die Kammer ihres Herrn verlassen hatte, lief Ella durch das Haus und tippelte über den kalten Boden der Diele zu ihrer Freundin Marga. Sie überbrachte ihr die Nachricht von Willekins und Hildegards Kommen und gestand danach: »Mein Herr wird mir immer unheimlicher, Marga. Er hat mich eben genau so angesehen …«
Während sie mit aufgerissenen Augen versuchte, das Gesicht Willekins nachzuahmen, musste Marga kichern. »Meinst du wirklich, dass er das Gesicht eines Fisches gemacht hat?«, neckte sie ihre Freundin.
»Marga, ich meine es ernst«, erwiderte Ella trotzig. »Ist eine Geburt nicht ein freudiges Ereignis? Ich denke manchmal, dass mein Herr sich niemals freut. Dabei ist er doch ein Freund der von Holdenstedes.«
»Nur von Conrad, nicht von Albert!«, verbesserte Marga ihre zwölfjährige Freundin und bereute ihre Worte sogleich.
»Wie meinst du das? Was soll das heißen?«, bohrte Ella ungeduldig nach.
Marga stöhnte auf und gab sich gleichzeitig Ellas ewiger Neugier geschlagen. Sie wusste, dass sie andernfalls so lange nachfragen würde, bis sie ihren Willen bekam. »Mutter hatte mir vor einigen Jahren erzählt, dass Albert eigentlich die Tochter des Hauses von Horborg heiraten sollte. Diese Hochzeit ist aber nie zustande gekommen, weil er sich für die Dame Ragnhild entschieden hat. Mehr weiß ich darüber auch nicht.«
Ella lauschte den Worten ihrer Freundin mit offenem Mund. »Das ist ja eine unglaubliche Geschichte. Aber verstehen kann man es schon. Wenn ich Albert von Holdenstede wäre, hätte ich auch lieber die schöne Dame Ragnhild zur Frau genommen und nicht die furchtbare Ingrid. Sicher ist das auch der Grund, warum die hässliche Vogelscheuche vor fünf Jahren in das Kloster der Beginen gegangen ist, oder?«
»Bist du denn von Sinnen, so etwas laut auszusprechen?«, platzte es aus Marga heraus, die sich dabei hektisch umsah.
»Keine Angst, du Hasenfuß, mein Herr ist in seine Schreibarbeiten vertieft. Keiner hört uns.«
Ella hatte schon immer ein vorlautes Mundwerk gehabt, dachte Marga kopfschüttelnd. Sie unterschied sich sehr von ihr selbst, und dennoch gab es niemals Streit zwischen den beiden Mädchen.
»Ich muss jetzt wieder los, Ella.« Die Freundinnen umarmten sich kurz, und schon einen Moment später hastete Marga wieder die Reichenstraße hinauf, um bereits nach wenigen Minuten die Küche im Hause der von Holdenstedes zu betreten und ihrer Mutter zur Hand zu gehen.
»Gott sei Dank, du bist wieder da, Kind. Schnell, hilf mir und rupf die Gans«, trug ihr Hilda atemlos auf.
»Das kann ich doch machen«, plapperte Runa drauflos, die wie so oft bei Hilda in der Küche war.
»Ich glaube nicht, dass die Herrschaften bei jedem Bissen noch Federn im Mund haben wollen«, antwortete Marga lachend und drückte die Vierjährige an sich. »Du kannst die von mir gerupften Federn zusammenkehren, ja?«
Doch diese Aufgabe wollte Runa nicht übernehmen. Saubermachen war ihr verhasst, und so schüttelte sie schmollend den Kopf. Doch sie war niemals lange beleidigt, und so setzte sie sich kurze Zeit später neben Marga auf die Holzbank und fing an, ihre Finger so zu zählen, wie sie es von ihrer Mutter vor Kurzem gelernt hatte.
»Mutter«, fragte Marga mit diesem bestimmten Unterton, der Hilda bereits vermuten ließ, dass die kommende Frage ungebührlich war.
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