Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Hast du etwa schon nach mir gesucht?«
»Und ob. Heute hat der Herr uns ein Zeichen seiner Güte gesandt«, erklärte Hilda im Brustton der Überzeugung und stemmte ihre dicken Arme in die nicht minder dicken Hüften.
»Was meinst du, Mutter? Was für ein Zeichen?« Die Neugier des Mädchens war geweckt.
»Ein Zeichen dafür, dass er über dieses Haus und seine Bewohner wacht«, erklärte sie ihrem Kind vergnügt. »Die Familie von Holdenstede ist heute nämlich um zwei gesunde Knaben reicher geworden!«
Es dauerte einen Moment, bis Marga reagierte. Die vielen Stunden, die sie auf den Knien in der kalten Kirche verbracht hatte, zeichneten sie noch deutlich. Doch langsam veränderte die eben erhaltene Nachricht das immer blasse Gesicht des Mädchens und zauberte ein Lachen auf ihre Lippen. »Wirklich, Mutter? Ist das wahr? Welch eine Freude. Sind Mutter und Kind wohlauf?«
Hilda schaffte es lediglich zu nicken. Margas Redeschwall war kaum zu bremsen.
»Ich habe auch für Ragnhild gebetet. Sehr viel sogar. So kurz vor der Niederkunft, dachte ich, wird Vater es sicher verstehen, wenn ich eine Weile der Zeit um ein gesundes Kind bitte. Wann …« Plötzlich unterbrach sie ihren Satz. »Sagtest du eben zwei gesunde Knaben?«
Hilda hatte schon auf genau diese Worte gewartet und klatschte nun erheitert in die Hände. »Ja, sehr wohl. Ich sagte zwei gesunde Knaben.« Überschwänglich schloss sie ihr Kind in die Arme und genoss es, ihre sonst so sanfte Tochter für einen kurzen Moment ganz und gar frei von ihrer Schüchternheit zu sehen. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, woher sie diese Wesenszüge wohl hatte. Von ihr jedenfalls nicht. So viel stand fest. »Die Herrin Ragnhild«, sagte Hilda mit der Betonung auf dem Wort Herrin, welches ihre Tochter soeben vergessen hatte, »hat in der Tat Zwillinge geboren. Ist das nicht ein Wunder, mein Kind?« Auch sie selbst musste sich oft dazu anhalten, nicht die höfliche Anrede zu vergessen, wenn sie in Gesellschaft über Ragnhild sprach. Doch heute wollte sie so streng nicht sein. In einem Anflug von Gefühlen zog sie ihre Tochter erneut an sich und küsste ihr das Haar.
»Ich weiß noch sehr genau, wie es war, als du geboren wurdest. Ich war tagelang die glücklichste Frau weit und breit«, schwelgte Hilda in Erinnerungen.
Sanft löste sich Marga aus der Umarmung und fragte: »Wollen die Herrschaften das Ereignis denn feiern?«
»Ach, du gute Güte! Das hätte ich ja fast verträumt, bei all den schönen Gefühlen und Erinnerungen. Ich muss noch eine Gans schlachten!«
Schnell trug sie ihrer Tochter auf, die Herrschaften von Horborg einzuladen, um dann gleich darauf in die Küche zu eilen.
Ragnhild erwachte aus ihrem Schlaf. Sie hätte nicht sagen können, ob sie eine Stunde oder eine Woche geschlafen hatte. Seltsamerweise fühlte sie sich überhaupt nicht erholt. Ganz im Gegenteil. Ihre Glieder schmerzten, und ihr Kopf hämmerte.
Durch die verschlossene Fensterluke war es unmöglich zu erkennen, ob es Tag oder Nacht war. Der Raum war warm und dunkel.
Ragnhild verfluchte die Sitte, die sie zwang, sich nach der Geburt wieder komplett ankleiden zu müssen, denn die feine Seide auf ihrer Haut fühlte sich an wie kratzige Wolle. Fahrig zerrte sie an ihrem Ausschnitt, um besser atmen zu können. Das Kohlebecken glimmte rötlichgelb vor sich hin.
Es war viel zu warm in der Kammer. Erst jetzt bemerkte sie, wie nass geschwitzt sie war. Am liebsten wäre sie aufgesprungen, hätte die Luke aufgerissen und ein paar tiefe Atemzüge getan, doch die kühle Oktoberluft hätte den Säuglingen schaden können.
Die Wöchnerin schaute in die Gesichter ihrer Kinder. Da sie noch immer schliefen, ging sie davon aus, dass sie selbst auch noch nicht sehr lange geschlafen haben konnte. Sicher hätten die Säuglinge nach einiger Zeit vor Hunger angefangen zu weinen.
Ragnhild sah die beiden zwar deutlich atmen, doch sie vernahm fast keinen Laut. In ihren Ohren war lediglich eine Art beständiges Rauschen zu hören, welches ihren dumpfen Kopfschmerz weiter verschlimmerte. Das Knistern des Kohlebeckens schien von weit her zu kommen, und auch sonst war es ungewohnt still um sie herum.
Mühsam versuchte sie sich etwas aufzurichten, doch selbst diese kleine Bewegung überforderte ihre Kräfte. Ragnhild ermahnte sich selbst: Du brauchst Ruhe. Schlafe, solange die Kinder noch nicht hungrig sind.
Sie schloss die Augen und legte sich den rechten Arm über ihre schmerzende Stirn. Die Flamme des
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