Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Kinder an sich zu binden. Albert lehnte sich zufrieden im Sessel zurück, nahm einen tiefen Schluck des blutroten Weins und schaute sich das erste Mal seit langer Zeit wieder bewusst in der Stube der Familie um. Einen solchen Wohnraum werde auch ich bald besitzen, dachte er bei sich.
Die holzgetäfelte Decke war in heller Eiche gehalten, wie es in den Kaufmannshäusern Hamburgs üblich war. Die Mitte des Raums wurde von einem massiven Holztisch dominiert, an dem die Familie zu speisen pflegte. An den Kopfenden der Tafel standen zwei bequeme Sessel mit hohen Lehnen und Kissen auf den Sitzflächen, die für den Herrn und die Herrin des Hauses bestimmt waren. Die Holzbänke an den Längsseiten des Tisches waren für die anderen Bewohner des Hauses gedacht – somit auch für Albert und seine Familie.
Für die kalten Tage des Jahres gab es hier sogar einen Kamin. Davor standen wiederum zwei Sessel. Diese waren bereits sehr alt, wie Albert wusste. Als Kinder durften sie sich niemals daraufsetzen. Nur die Eltern saßen früher hier, während Conrad und Albert auf dem Boden spielten.
Ihre Mutter Mechthild hatte es häufig vorgezogen, ihre Stickereien hier zu tätigen und nicht im Handarbeitsraum. Sie mochte es, ihren Kindern dabei Geschichten von früher zu erzählen; wie die Geschichte der Sessel etwa. Sie seien in der Mitgift der Mutter enthalten gewesen, hatte sie eines Tages erklärt, wie auch schon in der Mitgift von deren Mutter und Großmutter.
Albert und Conrad hatten regelrecht an ihren Lippen gehangen, wenn sie erzählte. Sie kannte unzählige, wunderbare Geschichten, und gerade jetzt, in diesem Moment, dachte Albert wehmütig an sie zurück. Mechthild hatte stets eine solche Ruhe ausgestrahlt. Nie wieder sonst hatte er dieses Gefühl der Geborgenheit empfunden. Seit ihrem Tod kam ihm die Stelle am Kamin leblos vor.
Er schüttelte den Kopf und verdrängte die düsteren Gedanken. Ein Mann in seinem Alter sollte seiner Kindheit nicht hinterherhängen, schalt er sich. Entschlossen stellte er den Becher auf den Tisch und stand auf, um sein angebrochenes Tagwerk zu beenden. Die erste Hälfte des Tages war schon fast vorüber, und der gestrige Morgen, an dem er zuletzt den Geschäften nachgegangen war, schien ihm durch die vielen Ereignisse in weite Ferne gerückt. Sobald er Zeit dafür fand, wollte er gehen und nach Ragnhild und den Kindern sehen. Auch sie sollte erfahren, dass die Zeit für ihn gekommen war, ein echter Kaufmann zu werden.
»Die Magd der von Holdenstedes ist soeben gekommen, Herr. Sie überbringt eine Einladung des ehrenwerten Conrad von Holdenstede für Euch und Eure Gemahlin. Ihr werdet zum Mahl gebeten, welches zu Ehren der Geburt zweier Söhne des Hauses gereicht wird«, berichtete Ella, die Magd der von Horborgs, mit gesenktem Kopf und zittriger Stimme. Vor dem Eintreten in das Kontor hatte sie tief durchatmen müssen, um diese Sätze frei heraus sagen zu können.
Ihr strenger Herr saß vollkommen vertieft an seinem Schreibpult. Nachdem Ella geendet hatte, hob er den Kopf, wandte sich ihr gespenstisch langsam zu und sah sie mit einem Blick an, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.
»Was sagst du da?«, fragte er mit beängstigend kontrollierter Stimme.
Nun war es um ihre Beherrschung geschehen. Die übliche Angst in seiner Gegenwart ließ ihre Stimme beben. »Die … die Dame Ragnhild hat … zwei … zwei Söhne geboren … heute … sie … sie schicken Euch eine Einladung, Herr«, stotterte Ella. »Außerdem bittet man Euch … der … der Gevatter der … der Jungen zu werden.«
Es war regelrecht mit anzusehen, wie sein spitzbärtiges Gesicht langsam versteinerte. Er schloss die vogelartigen Augen und zischte: »Sage zu. Und nun verschwinde!«
Nur zu gern kam sie dem Wunsch ihres Herrn nach und stahl sich lautlos davon. Wie gewöhnlich wusste sie die Reaktion ihres Herrn nicht zu deuten. Häufig war er ihr einfach unheimlich. Sie hatte bereits aufgegeben, sich zu fragen, ob sie irgendetwas falsch machte.
Ella selbst freute sich über die frohe Kunde. Auch wenn sie die Dame Ragnhild nur durch Marga kannte, war sie, nach den Erzählungen ihrer Freundin, eine gute und gerechte Frau. Wenn es Grund zur Klage gab, betraf dies eigentlich immer nur Domina Luburgis. Unter dieser Herrin würde sie nach allem, was sie bereits von Marga gehört hatte, auch nicht gerne dienen.
Mit ihrer Herrin hatte es Ella eigentlich gut getroffen. Hildegard von Horborg war die zweite Frau
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