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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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»Wie war das damals eigentlich mit der geplanten Hochzeit zwischen Ingrid von Horborg und …«
    Ein strenges »Schhhht« schnitt ihr abrupt das Wort ab. »Das hat dich nicht zu interessieren, junge Dame!«, beschloss Hilda streng und stemmte drohend die Arme in die Seiten.
    »Aber Mutter, du hast mir die Geschichte vor längerer Zeit doch selbst erzählt. Nur nicht ganz vollständig, weil ich noch zu klein war. Bitte erzähle mir, wie es damals war …«, bettelte Marga.
    Eine ganze Weile sagte niemand etwas. Nur das rupfende Geräusch, welches Marga erzeugte, war zu hören. Selbst Runa ließ nun lautlos ihre kleinen Beinchen unter der Holzbank baumeln und sagte ausnahmsweise mal nichts.
    »Also gut«, gab Hilda nach. »Runa, ich habe eine Aufgabe für dich. Sieh mal hier, diese Laken müssen gefaltet werden. Kannst du das schon, oder bist du dafür noch zu klein?«, fragte sie absichtlich provokant.
    »Ich bin nicht klein!«, protestierte Runa, wie erwartet.
    »Na, dann zeige mir mal, was für ein großes Mädchen du schon bist.«
    Sie führte Runa in ihre Kammer neben der Küche und legte ihr einen Stapel Laken auf die Bettstatt. Damit dürfte die Kleine eine Weile beschäftigt sein, dachte sie bei sich. Es hatte ja sowieso keinen Sinn mehr, Marga irgendwelche Geschichten vorzuenthalten. Durch die anderen geschwätzigen Mägde der Kaufmanns- und Ratsfamilien würde sie eh bald jede Tratscherei herausfinden. Sie stellte sich zurück an die Feuerstelle, über der ein großer Kessel mit Brühe köchelte, und fing an, darin zu rühren. Ohne ihre Tochter anzuschauen, begann sie zu erzählen, und zwar so leise, dass Runa im Nebenzimmer es nicht hören konnte.
    »Ingrid von Horborg und Albert waren einander bereits versprochen, seit sie das heiratsfähige Alter erreicht hatten. Als Nachkommen einer einflussreichen Kaufmannsfamilie war es damals selbstverständlich gewesen, dass Conrad und Albert eines Tages vorteilhaft verheiratet werden sollten, um so den Familienbesitz zu vergrößern. Bei Conrad hatte das auch funktioniert. Schließlich kommt Domina Luburgis aus der einflussreichen Sippe derer vom Berge. Doch bei Albert scheiterte dieser Plan. Lange Zeit weigerte er sich, überhaupt zu heiraten. Er war früher ein gut aussehender Raufbold, der sich lieber mit vielen Frauen statt mit nur einer vergnügte«, gestand Hilda offen und dachte im gleichen Moment, dass es vielleicht falsch war, den unschuldigen Ohren ihrer Tochter eine solche Geschichte zu erzählen.
    »Wie ging es weiter?«, bohrte Marga neugierig.
    »Irgendwann entschied sein Vater, dass nun die Zeit gekommen wäre, und drängte Albert zu der anstehenden Hochzeit mit der damals siebzehnjährigen Ingrid. Doch Albert konnte sich einfach nicht zu einer baldigen Heirat überwinden. Du musst wissen, Ingrid war schon damals furchtbar hässlich. Ich erinnere mich noch genau an ihren Anblick, als sie einmal mit ihren Eltern zu Besuch war.«
    Bei dieser Erinnerung schüttelte es Hilda regelrecht. Ingrids graubraunes Haar fiel ihr damals in dünnen Zöpfen über die Schultern. Unentwegt fingerte sie an ihrer aknegezeichneten Gesichtshaut herum. Trotz ihrer jungen Jahre waren ihre Zähne gelb und krumm, und ihren Mund vermochte sie nur dann zu schließen, wenn sie ihre Lippen zu einer spitzen Grimasse formte. So war ihre Unart entstanden, stets mit offenem Mund dazustehen, was ihr zusätzlich ein wahrhaft dümmliches Aussehen verlieh. »Sie hatte hässliches graues Haar und das Gebiss eines Pferdes«, fasste Hilda kurz zusammen.
    Marga verzog angewidert das Gesicht und murmelte: »Dann hat Ella ja doch nicht übertrieben.«
    Brüsk drehte sich Hilda zu ihrer Tochter um und blickte sie ernst an. »Du solltest dich nicht mit Ella über solche Dinge unterhalten!«, befahl sie streng.
    Sofort ärgerte sich Marga über ihre Unbedachtheit. »Ja, Mutter. Bitte entschuldige.«
    Hilda wandte sich wieder dem Kochtopf zu und reicherte die Brühe mit dem Gemüse an, welches es zu dieser Jahreszeit noch zu kaufen gab. Sie überlegte kurz, wo sie geendet hatte, und fuhr dann fort. »Als Albert kurze Zeit später den eigentlichen Grund für die Verweigerung der Ehe mit Ingrid hervorbrachte und gestand, dass er vorhabe, Ragnhild zu ehelichen, ging ein Aufschrei durch die Familien von Holdenstede und von Horborg. Eigentlich ging viel eher ein Aufschrei durch die ganze Stadt«, verbesserte sich Hilda mit einem in sich gekehrten Gesichtsausdruck und einer tiefen Denkfalte zwischen den

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