Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
wurde.«
»Das ist sehr traurig«, sprach Marga leise aus. »Was ist dann passiert?«
»Nun, du musst wissen, Kind, dass Alberts Mutter sich immer eine Tochter gewünscht hatte. Wahrscheinlich nahm sie die kleine Ragnhild deshalb wie selbstverständlich bei sich auf. Viele Jahre zuvor hatte sie die beiden Jungen Godeke und Johannes verloren, nach denen die Zwillinge nun benannt sind. Ragnhild bekam daraufhin all ihre Liebe. Conrad war damals zwölf Jahre alt, und solange ich mich erinnern kann, fühlte er stets nur Verachtung für seine Stiefschwester. Ständig musste ich darauf achten, dass er ihr nicht irgendwie schadete. Er war wirklich furchtbar jähzornig, und seine Abneigung gegen Ragnhild ist bis heute ungebrochen. Sein strenger Vater Conradus entschied damals, dass Ragnhild lediglich als Magd im Hause der von Holdenstedes aufwachsen durfte. Dennoch war sie für Mechthild immer die schmerzlich ersehnte Tochter, die sie nie bekommen hatte. So kam es, dass Ragnhild bei mir in der Kammer schlief und sich mit den Jahren dem einzigen Leben fügte, das sie je kennengelernt hatte; dem einer Magd. Sieben Jahre später wurdest du geboren, mein Schatz, und heute ist aus dem schüchternen Dienstmädchen von damals die hübsche junge Frau des Kaufmanns Albert von Holdenstede geworden. Nun kennst du die ganze Geschichte, Marga. Sicher verstehst du jetzt, warum Domina Mechthild sich dafür eingesetzt hat, dass Ragnhild den Mann bekam, den sie liebt – und wenn es auch ihr eigener Sohn war!«
Marga konnte nur noch staunen. Was für eine Geschichte. Niemals hätte sie für möglich gehalten, was alles hinter der Hochzeit von Albert und Ragnhild steckte, die seit Jahren für Unmut in der Familie sorgte. »Hat Ragnhild dir all das erzählt?«
»Ja, einiges weiß ich von Ragnhild, anderes von Mechthild«, antwortete Hilda bereitwillig. »Und außerdem bekommt man als Magd ja auch das ein oder andere mit, nicht wahr?« Den letzten Satz sagte sie mit einem kleinen Augenzwinkern in Margas Richtung, die es sofort als Anspielung auf ihre Neugier erkannte.
»Eine Sache verstehe ich aber noch immer nicht, Mutter.«
»Was denn noch, Kind?«, fragte Hilda mit prüfendem Blick in den Kugeltopf auf dem Tisch, der einen letzten Rest Würzwein enthielt.
»Warum hat Albert das alles gemacht?«
»Was meinst du mit das alles ?«
»Ich meine, wenn er Ingrid von Horborg einfach geheiratet hätte, so wie es abgesprochen gewesen war, dann hätte er doch allen aus der Familie, und auch sich selbst, sehr viel Scherereien erspart, oder?« Marga legte den Kopf schief und schaute fragend zu ihrer Mutter hinüber.
Hilda sah von ihrem Kugeltopf hoch und blickte ihrer Tochter in die Augen. In diesem Moment sah sie plötzlich wieder das kleine Mädchen vor sich, das sie noch vor wenigen Jahren gewesen war.
»Nun ja, mein Kind, die Geschichte hast du jetzt gehört, aber ganz verstehen kannst du sie dennoch nicht. Die Antwort auf deine Frage heißt Liebe , mein Herz. Albert und Ragnhild haben sich ineinander verliebt, und wenn zwei Menschen sich lieben, tun sie seltsame Dinge. Lass dir eines gesagt sein: Liebe unter Eheleuten ist selten, und deshalb haben die zwei darum gekämpft. Eines Tages wirst du wissen, was ich meine.«
Marga verstand tatsächlich nicht, was ihre Mutter damit sagen wollte. Doch sie war zufrieden mit dem Erzählten. Sie hatte sich einiges von der Bereitschaft ihrer Mutter, ihr die Geschichte der Familie von Holdenstede zu erzählen, versprochen. Doch nun war sie geradezu überwältigt von dem Erfahrenen und saß mit stummem Mund und unbewegten Händen einfach nur da.
»Ich habe dir diese Geschichte erzählt, weil ich weiß, dass du sie sowieso eines Tages herausgefunden hättest. Dennoch ist es wichtig, dass du diese Sachen für dich behältst, Marga. Hast du mich verstanden?«, fragte Hilda mit Nachdruck.
Marga erwachte aus ihrer Starre und sagte: »Ja, Mutter. Ich habe dich verstanden. Ich werde es nicht herumerzählen.«
Hilda wusste, dass sie ihrer Tochter trauen konnte.
Leise und mit einem sehnsüchtigen Blick auf die gerupfte Gans beendete Marga das Gespräch. »Er muss die Dame Ragnhild wirklich sehr, sehr lieben!«
6
Endlich! Nach all den Jahren werde ich diesem arroganten Willekin heute stolz die Stirn bieten. Die Zeiten, wo er verächtlich auf mich herabblickte, sind nun allzeit vorbei, dachte Albert noch vor wenigen Augenblicken.
Doch als Willekin die Stube betrat, um sich mit seiner Frau zum geladenen
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