Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Augen.
»Wie genau ist das geschehen?«, bohrte Marga ungeduldig nach und holte ihre Mutter, die einen Moment lang in Gedanken versunken war, wieder zu sich. »Bitte, erzähle von dem Tag, als Albert seinem Vater von seinen Absichten berichtet hat.«
»Ja, das kann ich mir vorstellen, dass dich das interessiert«, entgegnete Hilda gespielt empört. Doch sie hatte bereits jeden Widerstand aufgegeben und fuhr bereitwillig fort: »Ich sehe das Bild noch vor mir, als sei es erst gestern gewesen. Es war in der Stube, und die ganze Familie hatte sich zum Mahl versammelt. Ragnhild hatte kurz zuvor sogar noch selbst die Tafel gedeckt; schließlich war sie zu jener Zeit ja noch die Magd des Hauses. Dann plötzlich stand Albert auf, packte sie völlig überraschend an der Hand und schleppte sie ohne ein Wort vor seine Eltern. Alles ging so furchtbar schnell. Bevor sich überhaupt einer darüber empören konnte, fing Albert schon an, seinen Eltern mit fester Stimme, aber ziemlich hölzernen Sätzen ihre Liebe zu gestehen. Nachdem er fertig war, hatte Ragnhilds Kopf ungefähr die Farbe einer Mohnblume. Sie muss sich der Dreistigkeit ihres Handelns voll bewusst gewesen sein – Hand in Hand mit dem Sohn des Hauses vor ihrem Herrn –, ich weiß, dass sie sich ganz furchtbar geschämt hat. Kein einziges Wort kam über ihre Lippen, und ich konnte sehen, dass sie es tunlichst vermied, ihrem Dienstherrn ins Gesicht zu schauen, während dieser brüllte wie ein Stier. Ich dachte, er würde niemals aufhören. Albert hingegen schaute ihm direkt in die Augen. Im Gegensatz zu Ragnhild schien ihn das Toben seines Vaters nicht im Geringsten zu ängstigen. Er kam mir wahrhaft mutig und kampfbereit vor. Ich glaube tatsächlich, dass Albert in diesem Moment von einem Jungen zu einem Mann geworden ist.«
Margas Mund war aufgeklappt. Niemals hätte sie sich das getraut. Ihre Erinnerungen an den Hausherrn und seine gerechte, aber auch Ehrfurcht gebietende Art, waren noch sehr lebendig. Albert hatte wirklich Mut bewiesen.
Ohne auf das wahrhaft verdutzte Gesicht ihrer Tochter zu achten, fuhr Hilda fort. Schon längst erzählte sie mehr für sich denn für Marga.
»Conradus tobte tagelang. Er fluchte und drohte Albert mit allerlei Schrecklichkeiten, doch offensichtlich kannte er seinen Sohn nur allzu gut und wusste, dass dieser nicht mehr von seinen Hochzeitsabsichten absehen würde. Auch wenn ich wirklich keine Ahnung von den Angelegenheiten der hohen Herren habe, wusste ich selbst damals schon, dass diese Sache eine Menge Ärger mit sich bringen würde. Das Auflösen des Eheversprechens zwischen Albert und Ingrid kostete tatsächlich eine hübsche Summe Silbermark und letztendlich sogar noch viel mehr. Sosehr sich unser Herr Conradus auch um den Erhalt des Friedens zwischen den Familien bemüht hatte, alle Entschädigung und jedes Verhandlungsgeschick waren vergebens. Ingrids Vater, Willekin von Horborg, war wegen der Ablehnung seiner Tochter so verärgert, dass er Alberts Vater umgehend die Freundschaft versagte und alle gemeinsamen Geschäfte prompt beendete. Herrgott im Himmel, war das eine Aufregung. Bis zum Tod von Conradus von Holdenstede haben sie, soweit ich weiß, kein einziges Wort mehr miteinander gesprochen.«
Marga war so sehr von der Geschichte gefesselt, dass sie seit einigen Augenblicken vollkommen regungslos dasaß. Ein Büschel Federn in der Hand haltend, starrte sie ihre Mutter an. Erst als diese das bemerkte und mit dem Kinn auf die Gans zeigte, wurde es ihr bewusst, und sie rupfte weiter.
Hilda sah die Ereignisse dieser Tage vor ihrem geistigen Auge und nahm ihre Erzählung wieder auf. »Ich glaube, dass Alberts Vater der Ehe mit Ragnhild nur deshalb zustimmte, weil Mechthild sich für die beiden eingesetzt hat. Zufällig habe ich damals mit angehört, wie unsere frühere Herrin auf ihren Mann einredete und ihn bat, der Hochzeit doch seinen Segen zu geben. Sie liebte Ragnhild wie ihr eigenes Kind. Ich weiß zwar nicht genau, wie sie es angestellt hat, aber ihr Einfluss auf ihren Mann war offenbar groß genug. Schließlich willigte er ein«, schloss Hilda und dachte mit einem Lächeln daran, wie liebevoll Mechthild immer mit Ragnhild umgegangen war.
»Das verstehe ich nicht, Mutter«, warf Marga ein. »Warum hätte Domina Mechthild das tun sollen? War sie denn nicht auch gegen die Hochzeit ihres Sohnes? Schließlich war Ragnhild doch nur eine Magd – genau wie wir.«
Hilda antwortete zunächst nicht. Sie atmete nur
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