Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
verhindern, so konnte er ihn doch allemal verzögern – zumindest für ein Jahr, und nur darauf kam es an! Denn gerade das kommende Jahr würde für den Rat und somit auch für die Hamburger ein besonderes Jahr werden. Alle Bemühungen der Stadt, ihre Unabhängigkeit von den Stadt- und Landesherren, den Grafen von Holstein und Schauenburg, zu erkämpfen, würden im kommenden Jahr mit der Fertigstellung des ersten eigenen Gesetzbuchs seinen bisherigen Höhepunkt erreichen. Und gerade dann wollte Conrad seinen Bruder besonders weit weg wissen. Albert sollte nicht unverdienterweise an dem Siegeszug dieses Buchs teilhaben, an dem die Ratsherren bereits seit Jahren mitwirkten. Nein, der Ruhm der von Holdenstedes in dieser Angelegenheit war einfach zu wichtig, um ihn zu teilen.
Willekin und Conrad waren sich einig; wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Albert musste den Winter über aus Hamburg ferngehalten werden, damit die jährlichen Wahlen der Ratsmänner Ende Februar vorüber waren, bevor er wieder heimkehrte. Diesem Ziel waren sie nun näher als je zuvor; dafür würde die altersschwache Kogge schon sorgen, die sie extra für diesen Zweck angeheuert hatten.
Endlich war das Essen serviert und die Küche gerichtet. Die edlen Damen hatten sich bereits zurückgezogen und die werten Herren waren vermutlich in ihre geschäftlichen Gespräche vertieft.
Zu dieser Zeit des Mahls sah es der Hausherr nicht gerne, wenn Hilda die Wohnstube betrat und die Herren störte. Da sie darum wusste, hatte sie dafür gesorgt, dass genug zu trinken für den Rest des Abends auf dem Tisch bereitstand.
Marga hatte die Aufsicht über Runa übernommen und war gerade dabei, sie ins Bett zu bringen.
Nun hatte Hilda endlich Zeit, um nach Ragnhild und den Kindern zu sehen. Leise öffnete sie die Tür der Kammer, in der die Wöchnerin lag. Die drückende Wärme des Raums stand im starken Kontrast zu der klirrenden Kälte der Diele. Schnell schloss sie die Tür hinter sich, damit die Säuglinge nicht froren.
Schweißperlen traten ihr augenblicklich auf die Stirn, und so nahm sie ihr wollenes Schultertuch ab, welches sie immer dann umlegte, wenn sie aus der warmen Küche in die kalte Diele trat.
Ragnhild und die Zwillinge lagen friedlich schlafend nebeneinander. Dieser Anblick genügte bereits – Hilda war sofort wieder von dem freudigen Ereignis ergriffen. Sie sprach ein kurzes Dankgebet für die Geburt der Kinder und näherte sich dann langsam dem Bett. Auch wenn es ihr selbst nur vergönnt gewesen war, ein einziges Kind zu bekommen, fühlte sie sich durch die Geburt der Zwillinge seltsam entschädigt.
Je länger Hilda in dem Raum stand, desto besser gewöhnten sich ihre Augen an das schummrige Licht. Leise schlich sie an die Seite, zu der Ragnhild ihren Kopf gedreht hatte. Ihr Blick heftete sich auf den halb zugedeckten Körper der Wöchnerin. Auch ihr stand der Schweiß auf der Stirn. Hilda beschloss, ihn mit einem feuchten Leinen abzutupfen, und trat näher an ihre Freundin heran. Dann plötzlich stockte sie mitten in der Bewegung und verengte ihre Augen. Noch bevor sie Ragnhild berührt hatte, bemerkte sie, dass ihr Kopf irgendwie seltsam verdreht aussah und der Körper ungewöhnlich schlaff wirkte. Hilda wollte nach dem Arm greifen, der auf dem Laken ruhte, doch als sie diesen vorsichtig berührte, rutschte er einfach zur Seite und baumelte aus dem Bett heraus.
Die Magd versuchte ihren Schrei mit der Hand zu unterdrücken, doch der Schreck war schneller. Beide Kinder erwachten und fingen augenblicklich an zu weinen. Beherzt griff Hilda nach Ragnhilds Kopf, um ihn zu drehen, doch gleich nach der ersten Berührung zog sie ihre Hände ruckartig zurück. Das Gesicht der Wöchnerin war glühend heiß. Hilda mahnte sich zur Ruhe und packte Ragnhild unter den Armen, um ihren Körper wieder aufzurichten. Erst jetzt fühlte sie, dass der gesamte Körper ihrer Freundin klatschnass vor Schweiß war.
Die Kinder brüllten nun aus vollen Kräften, doch Hilda konnte sich jetzt nicht um die Säuglinge kümmern. Unentwegt versuchte sie Ragnhild mit ihren Rufen zu wecken. »Ragnhild, kannst du mich hören? So antworte doch, Kind. Sag etwas!«
Doch alles Rufen half nichts. Sie bekam keine Antwort. Von einem bösen Verdacht getrieben, schaute Hilda ihrer Freundin nun eindringlich durch die halb geschlossenen Augenlider. Aus den kleinen Schlitzen schimmerte ein Unheil verkündender Glanz. Hilda wusste sofort, was das zu bedeuten hatte. Ragnhild
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