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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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während sie Johannes liebevoll anblickte. Auch wenn sie sie nicht geboren hatte, empfand sie dennoch Mutterliebe. Sie erkannte sich selbst kaum wieder.
    Dass es allen anderen um sie herum genauso erging, bekam sie gar nicht mit. Niemand erkannte Luburgis wieder, und ihr Handeln in den letzten Tagen kam dem einer Schwachsinnigen gleich. Hin- und herschwankend zwischen Gut und Böse, zwischen der alten und der veränderten Luburgis, machte sie allen um sich herum das Leben nur noch schwerer als sonst.
    Doch in Wahrheit fühlte Luburgis neben ihrer ganzen Liebe auch noch etwas anderes. Die Glückseligkeit, endlich ihrer Bestimmung als Frau nachkommen zu können, wurde überschattet von der Angst, dass Ragnhild eines Tages wieder erwachen würde.
    Bei diesem furchtbaren Gedanken presste sie Johannes noch fester an sich. Nie wieder wollte sie ohne diese Kinder leben, und nie würde sie diese Kinder wieder herausgeben. Sie waren das, was sie sich immer gewünscht hatte. Gott hatte ihre Gebete endlich erhört.
    Sie war so in Gedanken, dass sie nicht bemerkte, wie Liesel sie verstohlen von der Seite ansah. Sie erinnerte sich plötzlich an die Worte Hildas und begann, sich vor Luburgis’ irrem Blick zu fürchten.
    Immer dann, wenn Conrad die Stiegen zum Eingang des schlichten steinernen Rathauses betrat, wurde er von einem einfachen Kaufmann zum Ratsherrn der Stadt Hamburg. Diese Verwandlung machten alle neunundzwanzig Herren durch, die ihm heute noch durch den Eingang folgen sollten, und auch wenn das Amt des Ratsherrn eines der bloßen Ehre war und nicht mit Reichtümern vergütet wurde, diente es dem Ansehen der Herren wohl.
    Zugänglich war das domus consulum über einen prächtigen Laubengang, welcher auch für öffentliche Verkündigungen benutzt wurde. Im Inneren des langen Giebelhauses gab es ein hohes Kellergewölbe und direkt darüber eine große Versammlungshalle, in der der Rat und die Wittigesten ihre Unterredungen führen und fremde Amtsträger empfangen und bewirtet werden konnten.
    Als Hamburg vor gut fünfzig Jahren noch aus zwei voneinander getrennten Teilen bestand, hatten die Bewohner beider Gebiete ihr eigenes Rathaus besessen, doch die Vereinigung von der erzbischöflich-bremischen Altstadt und der gräflich-holsteinischen Neustadt erzwang den Bau eines gemeinsamen Rathauses, welches die Belange der Stadt künftig unter einem Dach vereinen sollte. Hier, neben der Hamburger Münze unweit der Rolandsäule und der Gerichtsstätte, stand es nun seit ungefähr vierzig Jahren.
    Die Gemäuer des Einbeckschen Hauses, wie es wegen der einzigartigen Erlaubnis des Ausschanks von Einbecker Bier auch genannt wurde, waren Conrad fast so vertraut wie sein eigenes Heim. Er konnte nur vermuten, wie häufig er bereits den kurzen Weg von der Reichenstraße bis zur Apotheke und dann rechts über die Brücke der Brotschrangen zum Rathaus gegangen war. Viele Jahre lang hatte er es lediglich von außen bestaunen dürfen, doch vor drei Jahren dann, nach dem Tod des Vaters, erfüllte sich endlich sein lang gehegter Traum. Wie immer am 22. Februar, dem Sankt Peterstag, wurden die Namen der neu gewählten Ratsherren öffentlich vom Laubengang her verlesen. An diesem Tage erklang auch sein Name, und so trat Conrad das Erbe seines Vaters an, der bis zu seinem Dahinscheiden ein geachteter Ratsherr gewesen war.
    Der Rat bestand aus dreißig Mitgliedern der einflussreichsten und wohlhabendsten Grundeigentümer- und Kaufmannsfamilien Hamburgs. Er war geteilt in die so genannten Electi und Assumpti, die den sitzenden Rat bildeten, der mit zwei Dritteln der Mitglieder aktiv die Geschicke der Stadt lenkte, und den Extramanentes des alten Rates , die mit dem übrigen Drittel lediglich bei besonders wichtigen Sitzungen hinzugezogen wurden. Bei Fragen des Stadtrechts oder bei Bündnisabschlüssen musste zusätzlich die Meinung der Bürger in Form der Wittigesten gehört werden.
    Jährlich wurde der Rat durch Neuwahlen um zwei Ratsherrn erweitert. Ein jeder Mann der Stadt, der den Bürgereid geleistet hatte, konnte sich wählen lassen. Ausgenommen waren allerdings jene Männer, die sich als Vogt, Münzmeister, Zöllner, Steuererheber, Müller oder als andere Amtsmänner der Grafen von Holstein und Schauenburg verdingten. Ihnen war der Zutritt zum Rat, ja sogar der ungebetene Besuch der Ratssitzungen verboten, denn so wie es im sechzehnten Kapitel des Lukasevangeliums geschrieben stand, herrschte auch unter den Ratsherrender Glaube vor, dass

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