Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Wärme der rötlichen Flammen verdrängte immer erfolgreicher die klirrende Kälte des Saals.
Plötzlich wurde Conrad durch ein unliebsames Poltern aus seinen Gedanken gerissen. Der beleibte Tuchhändler Hans Wulfhagen hatte das schwereHolzgestühl neben ihm überaus geräuschvoll nach hinten gerückt und ließ sich nun stöhnend darauf nieder. Atemlos nickte er Conrad zu.
Dieser wusste, dass ihm jetzt nur noch genau so viel Zeit blieb, bis Hans wieder genug Luft geholt hatte, um losplappern zu können. Innerlich mit den Augen rollend, nickte Conrad scheinbar freundlich zurück.
Hans war zwar ein netter Kerl, doch durchaus auch für seine viel zu ausschweifenden Geschichten bekannt. An manchen Tagen tratschte er fast wie ein Weib. Gottlob kam es heute nicht dazu, da Bertram Esich, einer der zwei derzeitigen Bürgermeister, in diesem Moment aufstand und das Wort ergriff.
Wulfhagen, der gerade den Mund geöffnet hatte, hob nun die Schultern und Hände und legte lächelnd den Kopf schief, um Conrad damit sein Bedauern über die Störung zu bekunden.
»Werte Herren, habt Dank für Euer Erscheinen. Wie schön, dass alle rechtzeitig versammelt sind.«
Dieser Satz war zu einem ungeschriebenen Gesetz geworden. Sobald der kleine Mann mit der dunklen Stimme sich erhob, um die Sitzung zu eröffnen, schienen alle Anwesenden im Raum gespannt auf seine Lippen zu starren. Da jeder wissen wollte, ob er wirklich wieder exakt dieselben Begrüßungsworte sprechen würde, wurde es in diesem Moment tatsächlich immer absolut still im Saal. So still, dass man meinte, den Holzwurm im Gebälk hören zu können.
Conrad vermutete, dass der schlaue Esich um diese Wirkung wusste und deshalb so verfuhr.
Als ihm alle Aufmerksamkeit gewiss war, begann der Bürgermeister damit, seine Tagespunkte anzuführen. Mit fester Stimme und ernster Miene stimmte er eine Debatte über das Problem des zunehmenden Abfalls auf den Märkten an. »Meine Herren, die Angelegenheit ist allen bekannt. Seitdem sich unser Markt wachsender Beliebtheit erfreut, mischen sich an den Markttagen Blut, Knochen und Eingeweide der toten Tiere, welche dort verkauft werden, mit dem Kot der noch lebenden. Hinzu kommen Essensreste, Tonscherben und der Schlamm der Straßen, sodass jedermann fast bis zu den Knöcheln einsinkt.« Noch erzählte Esich nichts Neues. Es war seine Art, einen Tagespunkt zu beginnen, indem er das Problem noch einmal in voller Gänze aufführte, obwohl es jedem so bekannt war wie das Angesprochene. Mit stetig wachsender Einwohnerzahl war gleichsam auch das Übermaß an Dreck angeschwollen. Ein Hindurchkommen zwischen den Schrangen und Ständen wurde von Mal zu Mal beschwerlicher und der Gestank des verderblichen Abfalls immer schlimmer. Um den Markt aber dennoch für die Bürger zugänglich zu machen, musste eine Lösung her. Nach einigen Vorschlägen entschied der Rat einstimmig, die Böden der Plätze mit massiven Schwellen und darauf befestigten Holzbohlen auszulegen. Auf diese Weise sollte ein gänzliches Versinken des Marktes in der braunen Schlacke der Stadt verhindert werden.
Das nächste Thema der Sitzung betraf einen aktuell verfassten Vertrag zwischen dem Hamburger Domkapitel und dem Rat. Er besagte, dass es einen Weg zwischen den elf Kurien um die Petrikirche bis hin zur Mauer an der Alster geben sollte. Diesen Weg wollten die Kanoniker, welche die Kurien mit ihren Haupthäusern und Nebengebäuden bewohnten, für sich allein beanspruchen. Wie erwartet, löste diese Forderung bei den Ratsherren heftige Gegenwehr aus.
»Das ist ja wohl unerhört«, grollte einer der Männer mit kehliger Stimme.
»Wo soll das denn enden, wenn wir jedem, der dies fordert, eigene Wege zugestehen?«
Die Ratsherren waren sichtlich erbost. Nur wenige unter ihnen waren gewillt, dem Ansinnen der Kirchenmänner nachzugeben. Nachdem klar war, dass es an jenem Tag zu keiner Einigung mehr kommen würde, beendete Bertram Esich die Diskussion mit dem Versprechen, erneut mit dem Domkapitel in dieser Sache korrespondieren zu wollen. Von dem starken Glauben beseelt, dem Hauptthema um das Ordeelbook nun ganz nah zu sein, holte Esich noch einmal tief Luft, um die letzte, noch vorangehende Ankündigung zu machen.
»Da der Schiffsverkehr im Hafen durch die nahende Winterlage nun fast gänzlich zum Erliegen gekommen ist, gibt es hier heute keinen Gesprächsbedarf. Lediglich die flandrischen Handelsvertreter aus Gent, Jan Paschedach und Jan Coevoet, werden den Winter über in
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