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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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blieb einfach keine Zeit, um das Schriftstück erst zu verfassen, es dann zu vervielfältigen und schlussendlich auch noch von zwei ratsherrlichen Zeugen unterzeichnen zu lassen, um ihm Gültigkeit zu verleihen. Dieser Umstand war beunruhigend – schließlich kam es häufig vor, dass ein Reisender nicht zurückkehrte. Doch es gab auch noch etwas anderes, das in ihm rebellierte. Albert konnte es nicht richtig deuten. War es wirklich die Angst um Ragnhild? Oder vielleicht die natürliche Angst vor der großen See? Wie jeder an Bord konnte auch er nicht schwimmen. Diesen Umstand schob er nun vor, um sich selbst eine Erklärung für seine innere Unruhe zu liefern.
    Natürlich war es das. So wie man auch Angst vor großen Höhen verspürte, weil man nicht fliegen kann, hatte man auch Angst vor tiefem Gewässer. Mit einem Mal fielen Albert die Worte der Arbeiter des Doms ein, die ihm erzählt hatten, dass die Angst vor der Höhe vorbeigehe, wenn man sich ihr stelle. Würden auch seine Befürchtungen verfliegen, wenn sie erst einmal unterwegs waren?
    Er verschränkte die Arme und schaute so lange auf den Hafen, bis es die Biegung des Nikolaifleets nicht mehr zuließ. Sie fuhren unter der Hohen Brücke hindurch, nach der die Elbe folgte. Die Resens wurde von der Strömung des Wassers erfasst und gewann an Fahrt. Das flatternde Geräusch sich aufblähender Segel drang an sein Ohr. Albert entschied, ins Innere der Kogge zu gehen, da sie sogleich die Insel Grasbrook erreichen würden. Hier war die Hinrichtungsstätte Hamburgs, die ihn schon als kleiner Junge geängstigt hatte. Das Letzte, was er in seiner jetzigen Stimmung zu sehen wünschte, waren die nackten Schädel jener Mörder und Piraten, die der Scharfrichter zur Mahnung aller auf lange Pfähle genagelt hatte, sodass sie auch vom Wasser aus zu sehen waren.

7
    Seit Alberts Abreise waren mehrere Tage vergangen, und Ragnhilds Zustand schwankte zwischen todkrank und schlafend.
    Hilda und Marga waren von den Nachtschichten mittlerweile gleichermaßen erschöpft. Dennoch erlaubte Luburgis ihnen nicht, auch nur eine Stunde länger zu schlafen als sonst. Gott sei Dank kam Ella immer dann vorbei, wenn es ihre Arbeit erlaubte, um zu helfen. So verging Tag um Tag, und wo sich anfangs noch jeder von ihnen bemühte, zuversichtlich zu bleiben und den anderen zu stärken, verließ die Frauen langsam aber sicher der Mut.
    Nichts vermochte Ragnhild wirklich zu wecken. Zwar gab es Momente, in denen sie ihr etwas zu trinken und etwas zu essen geben konnten, aber ein Gespräch kam niemals zustande.
    Luburgis hingegen schien sich im Frühling ihres Lebens zu befinden. Im Gegensatz zu Marga und Hilda raubte ihr der schlechte Zustand der ungeliebten Schwägerin nicht einen Moment des Schlafs. Fast konnte man sagen, dass es eher andersherum war – jeder Tag, der verging, schien die ewig mürrische Hausherrin tatsächlich fröhlicher zu stimmen.
    Hilda glaubte mittlerweile den wahren Grund dafür zu kennen. Vor wenigen Tagen hatte sie beobachten können, wie ihre Herrin die Kammer mit den Kindern betrat. Die Tür war hinter ihr offen geblieben, und so konnte Hilda erkennen, wie Domina Luburgis ein Kind nach dem anderen hochnahm, es betrachtete und anfing, es zu liebkosen.
    Dieser Anblick war dermaßen ungewohnt, dass es Hilda trotz der Angst, beim Nichtstun entdeckt zu werden, unmöglich gewesen war, wegzusehen. Niemals zuvor hatte sie derartige Herzlichkeiten bei ihrer Herrin beobachten können, und sie hätte auf der Stelle schwören können, dass es sich lediglich um einen merkwürdigen Einzelfall handelte. Keinesfalls hätte sie geglaubt, dass sich Luburgis in Gegenwart anderer Leute den Kindern gegenüber ähnlich liebevoll verhalten würde; doch sie sollte sich irren.
    Nachdem Ragnhild auch Tage später einfach nicht erwachen wollte, nahm sich Domina Luburgis der Kinder ganz offenkundig an. Sie übernahm das Schneidern ihrer Kleider und trug der Amme auf, wie sie sich ihnen gegenüber zu verhalten hatte. Wenige Tage später organisierte sie bereits ihren ganzen Tagesablauf um die Säuglinge. Sie schien davon besessen, sie tadellos zu versorgen, und verlangte dies auch von anderen. Bei den kleinsten Verfehlungen geriet Luburgis förmlich in rasende Wut. Sie hütete die Kinder fast wie die Jungfrau ihre Unschuld und verwehrte wenig später sogar Hilda und Marga den Zutritt zu ihnen.
    Mit großer Sorge beobachtete Hilda diese Entwicklung und fragte sich, wo das noch enden würde. Was

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