Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
kein Mann zwei Herren gleich gut dienen konnte.
Am heutigen Tage schritt Conrad beschwingt über die Schwelle des roten Ziegelbaus. Er fühlte sich federleicht und war über alle Maßen gut gelaunt, denn er wusste, dass sich der Abstand zwischen ihm und Albert mit jedem Augenblick vergrößerte.
Er war früh am Morgen selbst am Hafen gewesen, um sich davon zu überzeugen, dass sein Bruder auch wirklich die Stadt verließ. Dabei hatte er tunlichst darauf geachtet, dass ihn der Jüngere nicht entdeckte. Als er ihn in der Ferne auf dem Schiffsdeck immer kleiner werden sah, spürte Conrad, wie die Last der letzten Tage von seinen Schultern fiel. Nun war es gewiss, dass niemand Albert im kommenden Jahr für den Rat aufstellen würde. Eigentlich hatte er sogar zwei Siege auf einen Streich gelandet, denn schließlich würde sein Bruder ihm ja zusätzlich auch noch das gut verkäufliche flandrische Tuch mitbringen.
Conrad war sehr zufrieden mit sich und hatte keinen Zweifel am Erfolg seines Plans. Selbst einem so erfahrenen Schiffsherrn wie Arnoldus würde es nicht gelingen, unter den gegebenen Umständen noch vor Einbruch des Winters zurückzukommen. Vergnügt schritt er in den Versammlungssaal des Rathauses, der von einem übergroßen Tisch in seiner Mitte dominiert wurde. Hier saßen bereits einige der ihm vertrauten Ratsherren und Wittigesten zusammen. Conrads Blick fiel sofort auf den ehrenwerten Stadtnotar Jordan von Boizenburg, der wie immer ein wahrhaft interessantes Bild bot. Sein stattliches Alter von über sechzig Jahren wusste er geschickt hinter auffällig bunten Kleidern zu verstecken. Selbst wenn Conrad nicht gewusst hätte, welcher der Männer Jordan war, hätte er ihn dennoch daran erkannt. Fast wirkte der Weißhaarige lächerlich in seinem kostbaren Oberkleid, welches im oberen Teil eng und nach unten hin weit geschnitten war und von einem übergroßen, mit Gold beschlagenen Gürtel zusammengehalten wurde. Das Gewand leuchtete in einem grellen Rot, und an den langen Hängeärmeln waren grüne und goldene Verzierungen zu sehen. Seine ebenso roten Beinlinge waren fest an die Bruche geschnürt, und ihr hautenger Schnitt ließ jeden noch so kleinen Muskel dominant hervortreten.
Der Notarius civitatis , wie sein offizieller Titel lautete, war eine Berühmtheit in Hamburg. Schon die bloße Anwesenheit des Gelehrten erfüllte die Hamburger allerorts mit Ehrfurcht. Er entstammte dem gleichnamigen, ebenso bekannten Geschlecht derer von Boizenburg, die schon seit vielen Jahrzehnten eng mit den Geschicken der Stadt verbunden waren. Wirad von Boizenburg war zu seiner Zeit Gründer des Neustädter Rates gewesen, wodurch Jordan sich natürlich dazu verpflichtet sah, dessen Fußstapfen im Rat nachzufolgen. Immer angetrieben von dem Wunsch, mehr als ein bloßer Nachahmer zu sein, ließ Jordan seit fast drei Jahrzehnten nichts unversucht, um seinen berühmten Vorfahren mit noch größeren Taten auszustechen. Dieses Ziel hatte der Stadtnotar bereits vor langer Zeit erreicht. Die von ihm ersonnenen Werke des Hamburger Stadterbebuchs, des ersten Hamburger Schuldbuchs sowie die von ihm gesammelten Urkunden des Kopialbuchs zeichneten ihn bereits als genialen Ratsnotar aus, doch sein nächstes Buch versprach eine noch größere schöpferische Leistung zu werden – das Ordeelbook!
Obwohl es noch nicht fertiggestellt war, erhielt der Magister bereits dieser Tage überschwängliches Lob von allen Seiten.Einzigartig und fortschrittlich wurde das Ordeelbook allseits genannt, denn dieses eine Rechtsbuch sollte alle bisher bestehenden Zivil-, Straf- und Prozessrechte der Stadt sowie das weit verbreitete Gewohnheitsrecht vereinen. Schon eine geraume Zeit wurden viele Sitzungen darauf verwandt, um über die Einzelheiten von Jordans Handschriften zu reden. Es galt, die veralteten Bestimmungen, welche nach der Zusammenlegung von Neu- und Altstadt vereinbart worden waren, aus dem Lateinischen ins Mittelniederdeutsche zu übersetzen, sie umzuformulieren, sie zu besprechen, sie zu verwerfen – so auch an diesem Tage.
Der alternde Ratsnotar wirkte von der harten Arbeit in der Schreiberei ebenso gezeichnet wie Johann Schinkel, der wie immer direkt neben dem Studierten saß. Hinter vorgehaltener Hand wurde Schinkel schon als Nachfolger Boizenburgs gehandelt. Manche nannten ihn auch spöttisch Jordans Schatten , da es fast nichts gab, was er für seinen Lehrmeister nicht tat.
Johann wusste um diesen Spitznamen, doch er störte sich
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