Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
nicht daran. Seine Verehrung für den genialen Magister war ganz offenkundig so groß, dass er es als Ehre empfand, seinem Vorbild dienen zu dürfen. Schon seit einer ganzen Weile übernahm er fast alle Schreibarbeiten des alternden Notarius civitatis, dessen Schreibhand vor einigen Jahren aufgrund einer Krankheit angefangen hatte zu zittern. Diese Loyalität zahlte sich bereits aus, denn Schinkel war auf dem besten Wege, ein vermögender und angesehener Ratsherr zu werden.
Mit einem freundlichen Nicken in jedes Gesicht, welches ihm beim Eintreten zugewandt war, setzte Conrad sich auf seinen Platz im Saal. Zwar beflügelt von seinen heutigen Erfolgen, doch zugleich gelangweilt von den Aussichten auf die kommenden Stunden, sank er gegen die hohe Lehne der hölzernen Bank. Er wusste schon jetzt, dass es heute zum wiederholten Male um die Inhalte des Hamburger Urteilsbuchs gehen würde. Es war ermüdend, wie Conrad fand. Er selbst war kein Mann der Bücher und großen Worte, wie er sich schon vor langer Zeit hatte eingestehen müssen. Viel lieber kümmerte er sich um Dinge, die man anfassen konnte; wie seine Waren, das flandrische Tuch. Doch sosehr diese eine Abneigung ihn auch von den schreibwütigen Ratsherren unterschied, eines hatte Conrad allerdings mit ihnen gemein.
Sie alle warteten gebannt auf den Tag der Fertigstellung des Ordeelbooks. Ein jeder Ratsherr fragte sich, wie die Grafen von Holstein und Schauenburg wohl auf das Inkrafttreten des Urteilsbuchs reagieren würden – denn auch wenn es niemand laut aussprach, war das Ordeelbook gleichwohl ein Schritt zur weiteren Abspaltung Hamburgs von seinem Fürstenhaus. Derzeit war Graf Gerhard I. alleiniger Landesherr. Er galt als launisch und war deshalb nicht sehr beliebt. Auch wenn er wegen Auseinandersetzungen mit Lübeck und Dänemark sowie Fehden mit zahlreichen Adeligen kaum Zeit in seiner Hamburger Residenz verbrachte, hielt der brennende Wunsch der Bürger nach noch mehr Unabhängigkeit schon seit einigen Jahren unerbittlich Einzug in der Stadt. Noch immer weigerte sich das Grafenhaus, einige seiner Kompetenzen abzutreten, dabei hatte der stete Machtverlust der Fürsten schon längst begonnen.
Vor fünf Jahren war den Ratsherren ein entscheidender Streich gelungen. Sie erhielten das Recht, zwei Mitglieder des Rates im gräflichen Vogtgericht als Beisitzer platzieren zu dürfen, um so zunächst die Einnahmen aus den Urteilen und dann sogar die Entscheidungen des Vogtes bei Gericht zu überwachen. Der Amtmann der Schauenburger hatte so seine uneingeschränkte Macht verloren, und zur Schande der Grafen wurde dies sogar mit den Worten Se fcolen oc bewaren that the vaget nenen manne vnrecht ne do, vnde nenen mann ne vare ofte versnelle im Ordeelbook festgehalten. Dieser Beschluss setzte das gräfliche Vogtgericht zu einem Niedergericht herab und erhob das städtische Ratsgericht zu einem Hochgericht. Zu Recht feierten die Hamburger den Beisitz der zwei Advocati im Vogtgericht als den eigentlichen Anfang vom Ende der uneingeschränkten gräflich-holsteinischen Herrschaft. Vor drei Jahren dann versetzte der Rat den Fürsten mit dem Kauf der Obermühle einen weiteren Schlag. Mühlen galten als wichtiges Zeichen der Macht und wurden gemeinhin nur ungern herausgegeben, doch die andauernden, teuren Fehden hatten die Fürsten zu diesem Schritt gezwungen.
Mit dem Ordeelbook sollte dieser Weg in die Unabhängigkeit weitergeführt werden. Die Hamburger konnten es nicht erwarten, endlich ein von Bürgern erdachtes, gerechtes Stadtrecht zu erhalten, mit dessen Hilfe sie zu mehr Freiheit gelangen sollten. Ein jeder, der an diesem Prozess teilhaben konnte, tat dies mit Ehrgefühl.
Auch Conrad bildete da keine Ausnahme. Manches Mal meinte er, das anbrechende Zeitalter der neuen Rechtsgeschichte förmlich fühlen zu können. Die Tatsache, ein Teil dieser Geschichte zu sein, erfüllte ihn mit Stolz, und gerade an einem Tag wie heute, an dem ihm scheinbar alles gelang, wurde dieses Gefühl bestärkt. Nur einen kurzen Augenblick lang verlor er sich in seinen Gedanken, sah sich in ferner Zukunft als grauen vermögenden Mann von hohem Ansehen, vergleichbar dem des Ratsnotars Boizenburg. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seinen Mund, während er geistesabwesend ins Leere starrte. Um ihn herum war der Raum erfüllt von dem Gemurmel der Herren, die auf den Beginn der Ratssitzung warteten. Das Feuer im Kamin ließ zuckende Schatten an der hölzernen Decke tanzen, und die wohlige
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