Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Vater. Ich möchte mich selbst von der Echtheit der Urkunde überzeugen. Ich kannte Conradus, er hätte eine solch frevelhafte Ungerechtigkeit niemals erlassen …«
Als der Testamentsvollstrecker sich durch diese Aufforderung plötzlich seiner Rechte beraubt sah, wurde er garstig. »Was erlaubt Ihr Euch? Ihr als Zeuge habt das Testament doch selbst unterschrieben, und nun beabsichtigt Ihr, es anzuzweifeln? Wollt Ihr damit etwa behaupten, dass Ihr nicht bei Sinnen gewesen seid, als Ihr Euren Namen daruntergesetzt habt?«
Ein regelrechter Tumult brach aus, in dem jeder seine Meinung offenbar gleichzeitig zu sagen beliebte. Niemand bemerkte, dass Conrad seinen Bruder mit zynischem Blick beobachtete.
Albert sah aus, als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggerissen. Damit hast du wohl nicht gerechnet, was, Brüderchen? Die nächsten vier Jahre werden für dich eine lange Zeit werden, das verspreche ich dir. Vater hat dich jetzt für immer verlassen und mit ihm seine schier grenzenlose Liebe. Schon morgen wirst du dich fragen, ob dir diese Hure das tatsächlich wert war.
Conrads Verachtung für die Tat seines Bruders kannte keine Grenzen. Er war schon lange nicht mehr fähig dazu, etwas anderes als diesen übermächtigen Rachewunsch zu fühlen. Endlich hatte er die Möglichkeit zur Vergeltung bekommen, und alles, was ihn diese wohltuende Sühne gekostet hatte, waren ein bisschen Geschick, eine Stunde Arbeit und eine scharfe Klinge.
Die aufgestaute Wut vieler Jahre entfesselte sich in diesem Moment und veränderte die Stimme des Sohnes in ein böses Grollen. »Du alter Narr. Selbst jetzt, da du fast deinen letzten Atemzug getan hast, versuchst du noch immer, mich zu übervorteilen.« Er lachte wie im Wahn und stürzte dann plötzlich zurück zum Bett. Sein Gesicht befand sich nun kurz vor dem des Vaters, und seine Worte waren kaum mehr als ein Flüstern. »Diese Zeit wird mit deinem Tod endlich vorbei sein. Ich kann es kaum erwarten, dich unter die Erde zu bringen.«
Zornig boxte er neben dem Kopf des Grauen in die Laken, der nun erschrocken blinzelte. »Schau mich nicht so an«, stieß der Untersetzte hasserfüllt aus. »Dein geliebter Zweitgeborener wird nicht kommen. Auch Mutter wird es nicht rechtzeitig schaffen und ebenso wenig der Geistliche. Nach keinem der Dreien habe ich schicken lassen, hörst du? Ohne Beistand wirst du sterben und von der Hölle aus zu mir heraufschauen. Von dort aus wirst du zusehen, wie ich deinen Zeugen ein Testament übergebe, welches ich nach meinem Gutdünken verändert habe. Ein Testament, welches du selbst unterschrieben hast, du Hundsfott.«
Sein kratziges Lachen hallte von den Wänden wider und erfüllte so den ganzen Raum.
»Habt Ihr Euch nun endlich von der Echtheit der beiden Urkunden überzeugt?«, fragte der Testamentsvollstrecker etwas hochnäsig. »Beide Papiere gleichen sich bis aufs Wort, und auch die Unterschrift werdet Ihr ja wohl als die Eure erkannt haben. Wenn Ihr nun so freundlich sein wollt, mich weiterlesen zu lassen?«
»Nein. Noch nicht«, war die brüske Antwort des Ratsmanns. Er konnte es auch nicht so recht erklären, aber in ihm brodelte das Gefühl, dass es hier nicht mit rechten Dingen zuging. In einem letzten Versuch, einen möglichen Betrug aufzudecken, sprach er einfach aus, was ihm schon seit dem Tod seines alten Freundes auf der Seele brannte. »Ich habe noch eine Frage an Conrad von Holdenstede, wenn Ihr erlaubt, Vater. Sie betrifft den Sterbetag des Erblassers.«
Mit einer entsprechenden Handbewegung gewährte der Geistliche den Wunsch des Ratsmanns, wobei er gar nicht erst versuchte, einen Hehl daraus zu machen, was er von der Störung hielt.
Ecbert von Harn setzte ein kämpferisches Gesicht auf und wandte sich Conrad zu. »Sagt, wie kam es dazu, dass Ihr im Besitz beider Ausführungen des Testaments Eures Vaters wart, als man Euch am Tages seines Dahinscheidens, Gott habe ihn selig, an seinem Sterbebett auffand? Meine Frage sei deshalb berechtigt, da der Verstorbene ja den ausdrücklichen Wunsch geäußert hatte, den Inhalt geheim zu halten und den Aufbewahrungsort der Urkunden ausschließlich seinen Zeugen mitteilen zu wollen, wenn er denn spürte, dass seine Zeit auf Erden bald vorüber war.«
Ein letztes Mal sammelte der Alte die verbliebene Kraft in seinem siechen Körper. Er wollte gegen dieses Unterfangen aufbegehren und sich zur Wehr setzen, doch sein Ende war nah.
»Nein. Das … wagst du nicht, Sohn. Wo … wo sind die
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