Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
daran zu fesseln.
Es war Freitag, und es galt frischen Fisch zu kaufen, wie es dem Herrgott an diesem Tag der Woche gefiel.
Obwohl sie eine Magd hätte schicken können, hatte Ragnhild nach kurzer Überlegung entschieden, dass die Strecke auch diese Woche noch für sie zu schaffen sein würde. Ihre Niederkunft stand kurz bevor, und ihr Leib war bereits mächtig angeschwollen. Doch entgegen der Meinung ihrer Schwägerin Luburgis war sie davon überzeugt, dass ihr etwas Bewegung in der Schwangerschaft guttat.
Immer wieder waren die beiden Frauen unterschiedlicher Meinung, und so verließ die Schwangere das Haus oftmals nur deshalb, um der zänkischen Luburgis wenigstens für ein paar Augenblicke zu entkommen. Sosehr sich Ragnhild nach der Hochzeit mit ihrem Mann Albert auch bemüht hatte, alle Versuche, Freundschaft mit der Schwägerin zu schließen, waren erfolglos geblieben. Zu groß war das Unverständnis der hochgeborenen Bürgersfrau über die Heirat ihres Schwagers mit der mittellosen Dänin, und zu schwierig das Verhältnis zwischen Dänen und Hamburgern zu dieser Zeit im Allgemeinen. Seit die Stadt sich vor nunmehr zweiundvierzig Jahren, am 22. Juli im Jahre des Herrn 1227, durch die blutige Schlacht von Bornhöved von der dänischen Herrschaft befreit hatte, wurden Dänen von vielen Hamburgern geächtet. Doch ungeachtet dieser tiefen Abneigung vieler Bürger und trotz der Gegenwehr der eigenen, alteingesessenen Kaufmanns- und Ratsfamilie hatte sich Albert von Holdenstede durchgesetzt und die blonde Schönheit Ragnhild aus Liebe geheiratet. Schnell wurde ihr Glück mit einer Tochter gekrönt, und nun, vier Jahre später, sollte endlich ein Geschwisterchen hinzukommen.
Ragnhild und Runa liefen die Straße in Richtung Westen entlang. Immer wieder wurden sie von kalten Windstößen erfasst. Der Herbst war dieses Jahr schnell gekommen und zeigte sich heute von seiner ungemütlichsten Seite. Hand in Hand drängten sie sich dicht an die windgeschützten Wände der Fachwerkhäuser. Wie schon die letzten Tage nieselte es auch heute ohne Unterlass, und das nasse Laub auf den Straßen vermischte sich mit dem stinkenden Unrat der Stadtbewohner. Trotz der hölzernen Trippen unter ihren Füßen versanken beide bei jedem Schritt knöcheltief im Schlick und hinterließen tiefe Eindrücke. Ihre Rocksäume waren nach kürzester Zeit dunkel eingefärbt, und das Wasser der Pfützen kroch langsam und unangenehm den Stoff ihrer Kleider hinauf.
Auch wenn Ragnhild jene frühen Stunden des Tages eigentlich mochte, war ihr das Aufstehen heute schwerer gefallen als sonst. Sie fror, und ihr Gang wurde immer bleierner. Der Regen wollte nicht aufhören, und bereits nach wenigen Schritten musste sie sich eingestehen, dass es heute wohl tatsächlich besser gewesen wäre, wenn sie Luburgis’ Rat befolgt und eine Magd geschickt hätte. Fröstelnd schlang sie sich den Mantel enger um den ausladenden Leib und hastete mit ihrer Tochter, gegen die Tröpfchen blinzelnd, durch die Straßen.
Kaum ein Mensch war zu dieser frühen Zeit unterwegs. Es dämmerte gerade, und wäre der Himmel nicht von regenschweren Wolken verhangen gewesen, hätte man wohl die aufgehende Sonne sehen können.
»Was für einen Auftrag müssen wir denn erfüllen, Mutter?«, fragte Runa, deren Vorfreude sich nach einem ersten Blick auf das schlechte Wetter bereits gewaltig gelegt hatte.
Ragnhild musste schmunzeln. Sie hatte gehofft, dass die Vierjährige die lockenden Sätze, mit denen sie das Mädchen aus dem Bett geholt hatte, bereits wieder vergessen hätte. Doch sie irrte. »Unser Auftrag ist, zum Fischmarkt zu gehen und dort einen Fisch zu suchen«, begann Ragnhild. Gleich darauf bemerkte sie etwas belustigt das enttäuschte Gesicht ihrer Tochter.
»Aber Mutter, das machen wir doch jeden Freitag.«
»Es handelt sich aber um einen ganz besonderen Fisch, mein Liebling. Die Fischer haben ihn diese Nacht aus der Elbe geholt und zum Hafen gebracht. Ich habe heute von diesem Fisch geträumt. Willst du wissen, wie er aussieht?«, fragte Ragnhild mit einem verschwörerischen Unterton.
»Ja, bitte erzähle mir von dem Fisch, Mutter«, forderte das Mädchen sie nun wieder eifrig auf.
Es war so einfach, Runas Begeisterung zu entfachen, und auch Ragnhild, die mit den Jahren immer erfinderischer wurde, hatte ihre Freude an diesen Geschichten. Nur gut, dass Luburgis sie jetzt nicht hören konnte. Erzählungen über erfundene Tiere und seherische Träume wären ihrer
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