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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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kannte. Fasziniert blickte er immer abwechselnd nach links und nach rechts.
    »Diese Straßen heißen Graslei und Koornlei . Sie haben ihren Namen von den Waren, die hier vertrieben und gelagert werden«, erklärte Thilo, der unbemerkt hinter Albert getreten war.
    Dieser wandte sich nur kurz um und fragte dann: »Was für Waren sind das?«
    »Graslei bedeutet Straße der Kräuter und des Gemüses undKoornlei heißt Straße des Getreides«, antwortete der Steuermann bereitwillig, der etwas belustigt von dem erstaunten Gesicht des Kaufmannssohns war. Dennoch hatte er Spaß daran, Albert mehr zu erzählen, und zeigte mit dem Finger auf eine Reihe großer Häuser. »Das sind die Speicher, in denen die Genter ihr Getreide lagern. Man nennt sie hier Spijkers. «
    »Sie sind gewaltig. Brauchen die Genter denn tatsächlich so viel Platz?«
    »Ja, auch wenn Brügge eigentlich die Hauptstadt des flandrischen Tuchhandels ist und selbst die Städte Ypern, Douai, Arras und Lille mehr oder ähnlich viel Tuch verkaufen wie Gent, übertrifft Gent doch alle diese Städte an Größe bei Weitem. Hier leben ungefähr …«
    »… fünfzehn Mal so viele Menschen wie in Hamburg«, beendete Albert Thilos Satz. Von Arnoldus hatte er genau das gerade gestern erfahren, doch eine so gewaltige Zahl an Personen hatte er sich einfach nicht vorstellen können. Erst jetzt, da sie mit der Resens in den Hafen einfuhren und er erkannte, wie verschwindend gering die Ausmaße des Hamburger Hafens im Nikolaifleet dagegen waren, wurde ihm der Unterschied wirklich bewusst.
    Nachdem das Schiff angelegt hatte und vertäut war, ging Albert gemeinsam mit Thilo und Arnoldus an Land. Hier war das Gedränge unbeschreiblich. Zunächst fühlte Albert sich fast erdrückt von den Ausmaßen der Stadt. Lauter fremdländische Worte und unbekannte Gerüche prasselten auf ihn ein. Der Unterschied zur ruhigen Nordsee war enorm. Die Stadt schien auf eine Art ein Eigenleben zu besitzen, die einen gefangen nahm. Doch es dauerte nicht lange, da gewöhnte sich auch Albert daran und öffnete sich ihrer wilden Schönheit.
    An jeder Ecke gab es etwas zu entdecken. Sie kamen vorbei an dem überwältigenden Turm der Nikolauskirche, passierten imposante Brücken und erreichten die mächtige, alles dominierende Burg Gravensteen. Beeindruckt blieb Albert mit offenem Mund vor ihr stehen. Ihr Aussehen war beängstigend. Groß und grau, umrahmt von einer hohen Ringmauer mit vierundzwanzig runden vorstehenden Türmen, die jeweils zwei Stockwerke hatten. Alles wurde umgeben von einem tiefen Wassergraben.
    »Hinter diesen Mauern wohnen die Grafen von Flandern«, erklärte Thilo unaufgefordert. »Sie sollen grausam sein. Aber die Genter lassen sich schlecht führen, sagt man. Sie gelten als stur und stolz und lehnen sich wohl schon seit Langem beharrlich gegen ihre Grafen auf.«
    Albert schaute den Steuermann von der Seite an. Diese Worte erinnerten ihn an die Hamburger im Kampf um ihre Unabhängigkeit von den Schauenburger Grafen. »Die Genter scheinen uns ähnlicher zu sein, als ich dachte.«
    »Wenn das so ist, dann lasst uns mal sehen, ob sie auch so gutes Bier haben wie wir«, warf Arnoldus ein und rieb sich den dicken Bauch.
    Albert willigte lachend ein und ließ sich gemeinsam mit Thilo von dem ortskundigen Arnoldus durch die Gassen führen. So wenig fähig und tüchtig das Äußere des Schiffsherrn auch auf den ersten Blick wirkte, hatte er doch das Gefühl, in der kurzen Zeit auf See mehr von Arnoldus gelernt zu haben als von Conrad in all den vielen Jahren zuvor. Der Seemann war während unzähliger Schiffsreisen zu seinem Wissen gekommen und hatte es in den letzten Tagen nach ein paar gemeinsamen Bechern Branntwein bereitwillig mit seinem Fahrgast geteilt. Albert saugte dieses Wissen auf wie das vielgerühmte flandrische Tuch das Wasser. Ihm war klar, dass alle Erkenntnisse dieser Reise ihm helfen würden, seiner Tätigkeit als Hamburger Kaufmann besser nachkommen zu können. So suchte er das Gespräch mit Arnoldus immer häufiger. Genau wie jetzt, da sie zu dritt in einer Schenke saßen.
    »Ich kann nicht glauben, was der Tuchhandel aus dieser Stadt gemacht hat. Alles ist so prächtig hier. Die Tuchhändler müssen einen gewaltigen Einfluss besitzen.«
    »Das stimmt, aber es sind nicht nur die Kaufmannsfamilien«, berichtigte Arnoldus ihn. »Auch die Tuchhandwerker, die Weber, Walker, Färber und Scherer, haben großen Einfluss. Doch all jene wiederum verdanken ihre ertragreiche

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