Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
wahr sein«, murmelte er übellaunig.
In diesem Moment kam Thilo hinzu, welcher auf Arnoldus’ Befehl das Ruder allein übernommen hatte.
»Schiffsherr, die Männer finden kaum mehr eine Lücke im Eis, in der sie die Lotleine zu Wasser lassen können. Wenn wir weiterhin so dicht an Land fahren, drohen wir auf die Untiefen aufzulaufen. Doch wenn wir uns weiter vom Land entfernen, sehen wir die Landmarken nicht mehr.« Auch Thilo zitterte vor Nässe und Kälte.
Beide Männer waren es gewohnt, in schwierigen Situationen auf Befehle zu warten und nicht eigenmächtig zu handeln. Dies war ein solcher Moment, und so starrten sie Arnoldus vor Verzweiflung fast nieder. Der Schiffsherr sagte jedoch zunächst einmal nichts. Noch immer verharrte er schweigend mit der Hand vor den Augen. Die Stille zwischen den Männern wurde nur vom bellenden Husten des Smutjes durchschnitten.
Es war wie verflucht. Das fast unverschämte Glück, welches sie auf der Hinfahrt nach Gent mit dem Wetter gehabt hatten, schien sich auf der Rückfahrt nach Hamburg plötzlich ins Gegenteil zu verkehren. Alle Männer hatten hart zu kämpfen, um jeden einzelnen Tag zu überstehen. Der wenige Schlaf und die ständige Kälte zerrten an den Nerven.
Endlich sah der Schiffsherr auf. Er richtete das Wort zuerst an seinen Steuermann. »Wie steht es um das Ruder?«
»Es scheint durch die Kälte immer unbeweglicher zu werden. Ich befürchte, wenn sich das Wetter nicht bessert, friert uns auf offener See das Schiff unter dem Arsch fest«, gestand Thilo ungeschönt.
Arnoldus nickte trüb. »Macht euch wieder an die Arbeit. Heyno, sieh zu, dass du etwas anderes zum Verfeuern auftreibst. Es wird doch verdammt noch mal etwas Trockenes unter Deck geben, das du verbrennen kannst. Und wenn du deine Hängematte dazu benutzt; mach ein Feuer!«
»Aye.« Heyno trollte sich. Auf keinen Fall wollte er seine Hängematte zum Feuermachen verwenden. Er nahm sich vor, es einfach noch einmal mit dem feuchten Holz zu versuchen.
Nun wandte Arnoldus sich seinem Steuermann zu. »Wie ernst ist es, Thilo?«
»Das Ruder lässt sich fast nicht mehr drehen. Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich das mal sage, aber die ruhige See bricht uns vielleicht den Hals. Ich habe das Gefühl, das Eis um uns herum wird zusehends dicker und kommt immer näher. Wenn wir einfrieren, dann gehen wir hier jämmerlich drauf.«
»Ich weiß«, antwortete Arnoldus knapp. »Wir müssen zusehen, dass wir an Land kommen, bevor das Eis die Resens zerquetscht. Es war töricht zu glauben, dass wir es noch bis nach Hamburg schaffen könnten. Wir hätten gleich nach dem ersten Schnee wieder nach Gent umkehren sollen, aber dafür ist es jetzt zu spät. Es bleibt uns nur noch eine Wahl. Sobald das Tageslicht die Sicht freigibt, versuchst du die Kogge so nah wie möglich an die Küste zu bringen. Halte Ausschau nach einer günstigen Gelegenheit zum Anlegen, und … bete, Thilo. Ich überbringe die Nachricht unserem Fahrgast.«
Während Arnoldus auf die Suche nach Albert ging, legte sich Schwermut auf sein Gemüt. Er war ein Seemann mit vielen Jahren Erfahrung, doch das hatte ihn nicht vor der jetzigen Lage bewahren können. Es war riskant, sich den Sandbänken der Watteninseln zu nähern, neben denen sie derzeit herfuhren. In der Dunkelheit ließ sich nicht einmal erkennen, welche der Inseln sie gerade passierten. War es Borkum oder Juist, Buise oder Baltrum? Untiefen lauerten überall, und die Gefahr aufzulaufen war groß. Doch er musste es wagen, wenn er sein Schiff und seine Besatzung retten wollte.
Als sie wieder von Flandern aufgebrochen waren, hatte sich das Wetter für die Jahreszeit ungewöhnlich mild gezeigt. Es begleitete sie ein kalter, aber leichter Wind, das Wasser trug kein Eis an seiner Oberfläche, und der Schneeregen, der sie auf der Hinfahrt begleitet hatte, war schon seit Tagen ausgeblieben.
Gemeinsam hatten Arnoldus und Albert beschlossen, dass es möglich sein sollte, noch vor dem Eis in Hamburg anzukommen. Dieser Hochmut gegenüber den Launen des Meeres wurde nun bestraft.
Albert hatte sich, wie so oft, an den Bug des Schiffs verzogen. Seitdem sie den Hafen von Gent verlassen hatten, konnte er nur noch an seine Lieben denken. Auch wenn die enorme Stadt ihn in der einen Woche seines Aufenthalts sehr beeindruckt hatte, hatte er sich dennoch nicht vorstellen können, den Winter dort mit Nichtstun zu verbringen. Er musste wissen, wie es um Ragnhild und die Kinder stand, und so hatte er nach
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