Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Arbeit zum großen Teil den geschickt ausgehandelten Geschäften mit dem Haupthandelspartner England. England liefert die Wolle, und Flandern produziert das Tuch. Erst diese Verbindung hat den Erfolg gebracht. Nur wenn alles zusammenkommt, entsteht das flandrische Tuch von jener Qualität, welches die Flamen weit über die Grenzen des Landes berühmt gemacht hat.«
Plötzlich kam eine dralle Wirtsfrau zu ihnen, stützte ihre Arme auf dem groben Tisch ab und beugte sich so weit vor, dass ihre Brüste fast aus ihrem engen, weit ausgeschnittenen Kleid fielen. Mit Worten, die nur für Thilo zu verstehen waren, fragte sie, was sie bringen solle.
Thilo antwortete auf Friesisch, doch anscheinend hatte seine Aussprache ihn verraten.
»Ihr Oosterlinge seid, oder?«
»Ja«, antwortete Thilo erstaunt. »Du kannst uns verstehen?«
Die Frau nickte und sagte: »Viele Oosterlinge hier.«
»Sicher«, gab Thilo lächelnd zurück und nickte. »Bring uns bitte drei Bier.«
Die Frau verschwand, und Albert blickte ihr fragend nach. »Was sind Oosterlinge?«
Arnoldus und Thilo sagten einen Moment lang nichts und fingen dann gleichzeitig an, haltlos zu lachen. »Ihr wisst wirklich gar nichts, mein Freund«, prustete Arnoldus, nachdem er wieder zu Atem gekommen war.
Albert, der die raue Art des Seemanns mittlerweile gut zu deuten wusste, ignorierte die Beleidigung und forderte ihn auf: »Erklärt es mir.« Er war sich schon lange nicht mehr zu schade dafür, seine Unwissenheit preiszugeben. Viele Zusammenhänge wurden Albert nämlich erst jetzt bewusst, da er einen erfahrenen Mann an seiner Seite hatte, dem er jederzeit seine Fragen stellen konnte. All das bruchstückhafte Wissen über den Tuchhandel, welches Albert sich in vergangenen Zeiten mühsam zusammengekratzt hatte, fügte sich mehr und mehr zu einem Ganzen zusammen.
»In Ordnung, hört mir zu. Oosterlinge werden die niederdeutschen Kaufleute von den Gentern aufgrund ihrer Herkunft aus dem Osten genannt.«
»Sie haben einen eigenen Namen für uns?«, unterbrach Albert verwundert.
»Ja. Auch wenn es vielleicht nicht so scheint, betreiben die Flamen doch mindestens so viel Handel mit uns wie wir mit ihnen. Aus Flandern kommt das wertvolle Tuch, und wir schiffen dafür große Mengen an Getreide, Blei, Zinn, Kupfer, Pech und Asche nach Flandern. Ich erkläre Euch, wie das zustande gekommen ist: Vor siebzehn Jahren schickte der Hamburger Rat unseren Ratsnotar Jordan von Boizenburg aus, um mit Flandern in Verhandlung zu treten, damit die Handelsbedingungen verbessert würden. Tatsächlich hatten diese Verhandlungen zwischen unserem Ratsnotar, dem Lübecker Ratsherrn Herman Hoyer und der Gräfin Margarete von Flandern zur Folge, dass die niederdeutschen Kaufleute einige Privilegien, wie etwa Zollerleichterungen, im Handel mit Flandern erhielten. Seither gibt es den uneingeschränkten Handel zwischen Hamburg und Flandern, versteht Ihr?«
»Ja, ich verstehe«, antwortete Albert zunächst beeindruckt. Doch wenig später änderte sich sein Gesichtsausdruck, und er sah plötzlich unzufrieden aus. »Ich verstehe, dass ich all die letzten Jahre genauso gut ein Bauer hätte sein können, denn so wenig, wie ein Bauer vom Tuchhandel versteht, habe ich in der Vergangenheit darüber gelernt.«
Arnoldus und Thilo schauten zunächst verlegen in ihre Biere. Albert hatte ihnen auf der Reise von seiner Geschichte erzählt, nachdem der Branntwein seine Zunge gelockert hatte. Doch es war klar, dass sie nur erahnen konnten, welch eine Schmach ein solches Leben für einen Kaufmannssohn tatsächlich sein musste.
»Nun lasst den Kopf nicht hängen, Kaufmann«, munterte Thilo ihn auf. »Selbst wenn unsere Rückreise – Gott soll es fügen – schnell vorangehen sollte, haben wir noch einige Nächte vor uns, in denen wir Euch mehr über den Tuchhandel erzählen können.«
»Das Wasser in der Schiffsküche ist ein einziger Eisblock und das Feuerholz so feucht, dass es sich nicht mehr anzünden lässt.« Der Smutje stand wie ein Häufchen Elend vor seinem Schiffsherrn. Er bemühte sich, nicht vor Kälte mit den Zähnen zu klappern. Seinen kranken Arm hatte er sich mit schmutzigen Leinen an den Körper gebunden.
Nahezu jeder auf dem Schiff war schon auf den glatten Planken ausgerutscht, so auch der arme Heyno, dessen Arm ihm seither noch mehr zu schaffen machte.
Der Schiffsherr hielt sich mit der Hand die Stirn und rieb sich danach mit Daumen und Zeigefinger die Augen. »Das kann doch alles nicht
Weitere Kostenlose Bücher