Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
schneller vonstattengegangen? Er hatte alles versucht, um die Vorgänge zu beschleunigen, doch der hochnäsige Genter Tuchhändler hatte ihn zunächst einmal vier Tage im Hafen warten lassen. Albert glaubte in diesen Tagen verrückt von der Warterei zu werden, doch was hätte er schon tun können? Er konnte ja schlecht ohne das Tuch zurücksegeln. Nun hallte es unaufhörlich in seinem Kopf: Nur vier Tage schneller! Genau die vier Tage, die ihnen nun fehlten.
Wenn er das geahnt hätte, wäre er wahrscheinlich eher des Nachts ins Lager des Genter Tuchhändlers eingebrochen und hätte Conrads verfluchtes Tuch mit eigenen Händen aufs Schiff gebracht, als untätig im Hafen herumzusitzen.
Während er nachdachte, hatte er angefangen, auf dem Schiff herumzuwandern. Der Wind und der Regen hatten ihn bereits steif werden lassen. Seine eingefrorenen Glieder mussten bewegt werden, wenn er nicht wollte, dass sie bei einer falschen Bewegung wie morsche Stöcke entzweibrachen.
Warum nur hatte er das Gefühl, schneller voranzukommen, wenn er sich an Deck aufhielt? Kopfschüttelnd beschloss er, sich diesem unsinnigen Drang endlich zu widersetzen und sich schlafen zu legen. Nun hatte es ja sowieso keinen Sinn mehr. Morgen würden sie anlegen – wo auch immer der Herr wollte –, und dann brauchte er seine Kraft und seine Sinne, um aus der Situation das Beste zu machen. Kurze Zeit später hatte er sich tatsächlich hingelegt, lauschte den lauen Wellen, die gegen die Schiffswand klatschten, und schlief ein.
Albert schlief unruhig. Er träumte wirr. Unliebsame Geräusche drangen in sein Ohr und störten ihn unterbewusst. Immer wieder verzog er gequält das Gesicht. Sein Körper wurde in seiner Hängematte gleichmäßig von einer Seite auf die andere geworfen, bis schließlich ein unsanftes Rütteln durch seinen ganzen Körper ging und ihn endgültig weckte.
Vor ihm stand Thilo und brüllte hektisch auf ihn ein. Er war nass von Kopf bis Fuß und kalkweiß im Gesicht. Alles, was Albert von seinen Worten verstand, war ein schroffes: »Steht auf und macht Euch nützlich. Wir brauchen jetzt jede Hand.« So schnell er erschienen war, genauso schnell war er auch wieder verschwunden.
Albert war schlagartig hellwach. Ohne zu wissen, was genau der Steuermann mit seinen Worten gemeint haben könnte, stand er auf, um ihm zu folgen. Seine Füße hatten noch nicht den Boden berührt, als er ein ohrenbetäubendes Donnern vernahm, das ihn zusammenzucken ließ. Einen Moment später schien das Schiff mit einem Mal in voller Gänze abzuheben.
Ein erschrockener Ausruf verließ Alberts Mund. Er griff nach irgendetwas, um sich festzuhalten, doch die ruckartige Bewegung kam zu unerwartet, und so wurde er mit voller Wucht gegen eine Wand geschleudert. Er spürte deutlich, wie sein Kopf gegen etwas Hartes knallte, doch er hatte keine Gelegenheit, sich darum zu scheren. Blutend kämpfte er sich an Deck. Was er hier sah, entsprach seiner Vorstellung von der Hölle. Blitze durchzuckten unaufhörlich den schwarzen Nachthimmel und jagten dröhnende Donnerschläge. Die zerfetzten Segel flatterten im Sturm. Riesige Wellen türmten sich rechts und links neben der Resens auf und überfluteten das Deck. Das Schiff war zu einem Spielball des Meeres geworden. Außer Kontrolle neigte es sich fast waagerecht nach links und dann wieder nach rechts. Es war unmöglich, frei herumzulaufen, und so krallte Albert sich irgendwo fest. Der tosende Lärm des Wassers, das Krachen des Holzes, das Klatschen des Regens; Albert glaubte fast, taub davon zu werden, doch dann vernahm er, von weit weg, die Stimme des Schiffsherrn. Umständlich drehte er sich um und sah, wie einer der Schiffsjungen versuchte, über den Boden krabbelnd zu dem rettenden Mast zu gelangen, an dem er sich festhalten konnte. Er heulte und war sichtlich in Panik. Es war der Enkel von Arnoldus.
Der Schiffsherr selbst hatte bereits etwas gefunden, an das er sich hatte anbinden können, um nicht über Bord zu gehen. Von dort aus brüllte er dem Jungen unentwegt Befehle zu, doch diese vergingen fast vollständig im vorherrschenden Lärm.
Albert sah sich außerstande, auch nur einen Fuß vor den anderen zu setzen, und musste sich eingestehen, dass er dem Jungen nicht zu Hilfe eilen konnte, ohne sein eigenes Leben in noch größere Gefahr zu bringen. Er starrte ihn an und flehte zu Gott, er möge das Kind verschonen. Doch in diesem Moment neigte sich das Schiff erneut, und der Junge rutschte bäuchlings unter
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