Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
vollen Mondes, welcher kurz durch die dicken schwarzen Wolken blitzte.
10
Ragnhild lag mit all ihren Kindern auf dem Bett. Hier verbrachte sie noch immer die meiste Zeit. Trotz stetiger Genesung waren ihre Kräfte noch nicht vollständig zurückgekehrt.
Runa beugte sich über Godeke, und Ragnhild selbst kümmerte sich um Johannes. Der Zweitgeborene war unverändert von hellerer Hautfarbe und schmächtigerem Wuchs. Godeke hingegen schien für seinen kleinen Bruder mitzuwachsen. Doch gerade ihre Unterschiede liebte Ragnhild ganz besonders. Zärtlich zeichnete sie mit dem Zeigefinger die Gesichtszüge ihres Sohnes nach und schaute dann lächelnd zu Runa hinüber, die Godeke gerade auf die Stirn küsste. Das kleine Mädchen war sehr stolz auf ihre Brüder und liebte es, mit ihnen zu spielen. Dies war einer der glücklichen Momente, und Ragnhild versuchte, ihn mit aller Gewalt festzuhalten. Sie wusste, er würde nicht lange währen.
Im nächsten Moment wurde die Tür aufgerissen, und das Lächeln auf Ragnhilds Lippen erstarb mit dem Geräusch, das die Tür verursachte, als sie gegen die Wand knallte.
»Wo sind die Kinder?« In Luburgis’ Augen war blanke Panik zu sehen.
»Bei ihrer Mutter«, erwiderte Ragnhild schnippisch. »Ich habe sie mir herübergeholt, um mit ihnen zu spielen.« Noch im gleichen Moment ärgerte sie sich über die abgegebene Erklärung. Schließlich war sie die Mutter und somit niemandem Rechenschaft schuldig, wenn sie ihre eigenen Kinder zu sich holte. Luburgis sah das allerdings ganz anders.
»Bist du denn des Wahnsinns? Hier ist es viel zu kalt. Außerdem brauchen sie ihren Schlaf. Ich werde sie wieder mit in den Handarbeitsraum nehmen. Sicher haben sie Hunger.« Entschlossen stürmte sie auf die Kleinen zu. Liesel folgte ihr ergeben, doch der auf den Boden gerichtete Blick der Amme verriet, dass sie sich nicht wohl dabei fühlte.
Ragnhild hatte keine Wahl. Sie hatte bereits versucht die Kinder anzulegen, doch ihre Milch war während der Zeit des Fiebers versiegt. Dennoch – so wollte sie die Zwillinge nicht herausgeben. Ragnhild presste Johannes mit einer Hand fest an sich und streckte die andere Hand in Richtung Luburgis aus. Mit der Handfläche auf die Schwägerin zeigend, sagte sie: »Halt, Luburgis!«
Diese blieb abrupt stehen und starrte verwundert auf die ihr zugewandte Handfläche.
Ragnhild wurde sich plötzlich der Dreistigkeit ihrer Geste bewusst und ließ die Hand schnell sinken. Auch wenn sie die Mutter der Kinder war, musste sie dennoch den nötigen Respekt vor der Hausherrin wahren.
Einen Augenblick lang sagte keiner ein Wort. Die Feindseligkeit zwischen den Frauen war deutlich zu spüren. Selbst Runa nahm Godeke jetzt hoch und hielt ihn fest an sich gedrückt. Sie schien nicht gewillt, ihn alsbald herauszugeben. Der Säugling auf ihrem Arm erschrak von der plötzlichen Umarmung und fing an zu weinen.
Ragnhild fühlte, dass Luburgis ihr die Kinder mehr und mehr zu entreißen versuchte, doch sie durfte sie nicht verärgern. Solange Albert nicht zurück war, hatte sie wenig Aussicht, gegen ihre Schwägerin anzukommen. Mit Mühe unterdrückte sie den Drang, Luburgis des Zimmers zu verweisen. Stattdessen sagte sie beschwichtigend: »Ich möchte mich nur richtig von meinen Kindern verabschieden, bevor sie zum Schlafen hingelegt werden. Das wirst du doch sicher verstehen, Luburgis.«
Diese sah alles andere als verständnisvoll aus und starrte auffordernd auf die dreifache Mutter.
Ragnhild gab Runa ein Zeichen, woraufhin sie mit ihrem weinenden Bruder herüberkam. Dann küsste sie ihre Zwillinge abwechselnd auf die Stirn und die Wangen und übergab sie schweren Herzens der Amme und der Schwägerin.
Mit steifem Gang rauschten die beiden Frauen aus der Kammer und ließen Mutter und Tochter allein zurück.
Runa krabbelte zu Ragnhild und kuschelte sich in ihren Arm. Sie konnte nicht wissen, wie sehr ihre Mutter diesen Trost gerade zu schätzen wusste. Dankbar drückte sie das ihr verbliebene Kind an sich. Wenn doch nur Albert wieder da wäre. Wie lange würde sie noch warten müssen? Wie lange würde sie diesen Kampf noch führen müssen? Die Machtlosigkeit ließ sie schier verzweifeln. Nur die Liebe zu ihren Kindern hielt sie weiterhin aufrecht. Ein Blick auf Runa genügte, um sich wieder neu zu motivieren. Sie musste durchhalten – und sie würde durchhalten; auch für Runa.
An diesem Tag erhob sich Ragnhild das erste Mal seit langer Zeit von ihrer Bettstatt, bloß um im
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