Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Mitglied des Rates, und Ragnhild ist somit auch nicht die Witwe eines Ratsmitgliedes. Zudem ist sie auch keine Jungfrau mehr, und, was fast das Schlimmste ist, in ihr fließt das Blut unserer früheren Feinde; dänisches Blut! Das Einzige, was ihr zum Vorteil gereicht, ist die Tatsache, dass sie durch Heirat der Familie von Holdenstede angehört.«
»Und dass sie recht ansehnlich aussieht«, ergänzte Willekin.
Conrad verzog das Gesicht, als hätte er auf etwas Widerliches gebissen. Dass jemand seine Schwägerin als ansehnlich beschrieb, kam ihm komisch vor, hatte er für sie doch nicht mehr übrig als Hass.
Willekin lehnte sich noch weiter zurück und sagte mit nachdenklichem Blick: »So gesehen muss ich leider zugeben, dass die Aussichten auf einen standesgemäßen Gemahl eher schlecht stehen. Es wird dir zwar sicher widerstreben, auch nur einen Brakteat deines Vermögens für sie zu opfern, aber du musst dir wohl eingestehen, dass der einzige Weg zu einer einigermaßen guten Verbindung über eine entsprechend hohe Mitgift zu erreichen sein wird.«
Conrad atmete tief ein und wieder aus. Allein das Wort bewirkte bei ihm eine Gänsehaut, denn wahrscheinlich würde Ragnhilds Aussteuer unter den gegebenen Umständen ihr Erbe weit überschreiten, sodass Conrad den Rest aus seinem Vermögen würde zahlen müssen. Bereits am Vorabend war er allein in seinem Kontor alle heiratsfähigen Männer Hamburgs durchgegangen. Doch auch wenn er so gut wie jede ihm bekannte Sippe gedanklich durchlaufen war, um einen Mann herauszufiltern, der all den erforderlichen Ansprüchen gerecht wurde, war er zu keinem Ergebnis gekommen. Und zu guter Letzt sah es jetzt auch noch so aus, als ob Willekin von Horborg ebenso ratlos zurückblieb wie er selbst. Seine letzte Hoffnung starb gerade vor seinen Augen, und es gab sonst niemanden, dem er sich auf diese Weise anvertrauen konnte.
Doch ganz plötzlich und unerwartet schlug Willekin mit der flachen Hand auf das Wasser, das unter lautem Klatschen zur Seite wich und Conrad mitten ins Gesicht spritzte. »Ha, das ist es!«, stieß Willekin laut und unbedacht aus.
»Schhhht!«, ermahnte ihn Conrad fahrig und wischte sich währenddessen das Wasser aus den Augen. »Großer Gott, mäßige dich!«
Willekin hatte ein breites Grinsen auf dem Gesicht, doch er senkte wie befohlen die Stimme. Er deutete mit dem Zeigefinger auf Conrad und sagte: »Ob du es nun glaubst oder nicht, ich habe eine Idee. Durch eine Hochzeit mit diesem Mann würde Ragnhild eine ordentliche Partie zugesprochen werden, ohne dass sie danach einer gar zu mächtigen Familie angehören würde oder du bei der Mitgift zu tief in die Tasche greifen müsstest.« Während er sprach, tippte er unaufhörlich auf Conrads Brust.
Dieser bemerkte das erst jetzt und wischte mit gerunzelter Stirn den Finger fort. »Sag schon, wer ist dieser Mann?«
»Die Verbindung ist einfach perfekt«, lobte sich Willekin noch einmal kräftig.
»Die Verbindung mit wem ?«, fragte Conrad nun überaus ungeduldig.
»Symon von Alevelde!«, antwortete Willekin mit stolz geschwellter Brust. »Jetzt muss der Mann nur noch von einer Heirat mit Ragnhild überzeugt werden; und ich wüsste auch schon genau, wie.«
Tief in Gedanken versunken, stapfte Conrad durch das nasskalte Wetter aus der Badestube des St.-Petri-Kirchspiels nach Hause. Der Winter kam ihm dieses Jahr kälter und grauer vor als die Jahre zuvor. Er war unzufrieden, weil die erwartete Entspannung heute ausgeblieben war, die ihm der Besuch in der Badestube sonst immer einbrachte. Doch andererseits war er auch froh, nicht in eine der drei anderen Badestuben Hamburgs gegangen zu sein, wo er Willekin mit Sicherheit verpasst hätte. Je länger er über dessen Idee nachdachte, desto sicherer war er sich, dass Symon von Alevelde einen guten Ausweg aus seiner Klemme darstellte. In Gedanken spielte Conrad bereits die Verhandlungen mit dem Kaufmann durch. Fast übersah er dabei den Gruß von Hinrich Cruse, der ebenfalls in der Reichenstraße wohnte. Nach dem Austausch der gefühlt hundertsten Beileidsbekundung hastete Conrad mit der Entschuldigung, noch viele Angelegenheiten regeln zu müssen, weiter.
Jeder hatte derzeit Verständnis für diese Reaktion, und Conrad kam sie zugute, da er sich so den lästigen Lobgesängen über Albert entziehen konnte. Außerdem entsprach sie sogar der Wahrheit. Tatsächlich fiel es ihm schwer zu entscheiden, wo genau er anfangen sollte. Es galt die Trauerfeierlichkeiten zu
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