Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
organisieren, die anstehende Hochzeit zu planen und das Erbe in der nächsten Ratssitzung aufzuteilen. Doch zunächst sollte er Ragnhild beim Domdekan Sifridus aus ihrer Trauerzeit freikaufen, damit eine erneute Hochzeit so schnell überhaupt möglich war.
Obwohl Symon von Alevelde von seiner bevorstehenden Ehe noch gar nichts wusste, hatte Conrad keinen Zweifel, dass er Ragnhild mit Sicherheit zur Frau nehmen würde. Doch wäre er auch bereit, ihre dreifache Nachkommenschaft bei sich aufzunehmen? Auf gar keinen Fall wollte Conrad die Gören seines verhassten Bruders bei sich im Hause behalten. Sehr wahrscheinlich aber würde ihm dieser Wunsch ein hübsches Säckchen Münzen kosten. Conrad schwirrte der Kopf. Er hasste die Situation, in der er sich gerade befand. Am liebsten hätte er die ungeliebte Schwägerin mitsamt ihrer Brut einfach in das Reichenstraßenfleet hinter seinem Haus gestoßen, aber das war natürlich unmöglich. Allein die Aussicht, Ragnhild mit dieser Hochzeit nach so vielen Jahren aus seinem Blickfeld wischen zu können, trieb ihn an. Endlich würden die Zankereien zwischen den Weibern aufhören, und endlich würde wieder Ruhe in sein Haus einkehren.
Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. Sein Haus – wie gut sich das anhörte. Ja, nun war es endgültig sein Haus. Er musste es nicht mehr teilen.
Ohne es überhaupt zu bemerken, trat er durch die schwere Holztür desselben. Gedankenversunken öffnete er die Schnüre seines Tasselmantels und warf ihn achtlos über eine Truhe. Abwesend stieg er die Stufen hinauf, um in sein Kontor zu gelangen.
Die Tür stand offen, und er ging hinein, ohne sich darüber zu wundern. Mit auf dem Rücken verschränkten Armen spazierte er langsamen Schrittes vor seinem Schreibtisch auf und ab und führte seine Überlegungen über die anstehenden Erledigungen fort. Nachdem er sich zum unzähligsten Male am Ende des Zimmers um sich selbst gedreht hatte, um es erneut der Länge nach abzuschreiten, bemerkte er trotz seines auf den Boden gerichteten Blickes eine Bewegung an der Tür. Er hielt inne und sah auf.
Das, was seine Augen dort erfassten, ließ ihn zurückprallen, als wäre er gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen. Hätte das Wesen, das dort vor ihm stand, nicht die Kleider seines Eheweibes getragen, so hätte er wohl Zweifel gehabt, dass es sich wirklich um Luburgis handelte.
Dort, wo noch am Tage zuvor ihr immer zänkisches, aber dennoch recht ebenmäßiges Gesicht gewesen war, erblickte er heute stattdessen eine blutverkrustete Fratze, deren Haut in allen Schattierungen zwischen Blau und Gelb schimmerte. Auf der Nase war eine offene Stelle zu sehen, genau da, wo sie sich seltsam nach links bog. Beide Augen waren eng zugeschwollen. An der Stirn prangte eine lange Wunde, und die Unterlippe schien jeden Moment platzen zu wollen.
Sie stand einfach da, ohne ein Wort und ohne eine Regung.
Auch Conrad sagte nichts. Vollkommen ungläubig starrte er sie an. War das wirklich er gewesen? Hatte er sein Weib heute Morgen wirklich so hart geprügelt? Er musste sich eingestehen, dass er seit dem Morgen keinen einzigen Gedanken an die Situation im Ehebett verschwendet hatte. Um das unangenehme Schweigen endlich zu durchbrechen, fragte er unfreundlicher, als er es eigentlich wollte: »Was willst du?«
Sie zuckte zusammen. Das Schweigen war gebrochen. Jetzt musste sie einen der vielen Sätze sagen, die sie sich in den Stunden nach seinem Aufbruch überlegt hatte; doch ihre Kehle war wie zugeschnürt.
Das Betasten ihres Gesichts in der Dunkelheit hatte gereicht, um Gewissheit darüber zu erlangen, was die heftigen Schmerzen in ihrem Gesicht bereits angekündigt hatten. Conrad hatte ihr die Nase gebrochen und ihr drei der vorderen Zähne ausgeschlagen.
Den ganzen Tag über hatte sie sich nicht aus ihrer Kammer gewagt. Nicht einmal das geliebte Umsorgen der Zwillinge hatte sie herausgelockt; bis eben, da sie Conrad hatte kommen hören.
Jetzt jedoch lag sie nicht mehr mit ihrer Wut und ihren Schmerzen im Bett. Jetzt stand sie hier vor ihm und konnte ihn fragen, womit sie das verdient hatte. Sie konnte sehen, dass auch er erschrocken darüber war, was er sah. Doch statt einen der unzähligen Vorwürfe auszusprechen, die sie ihm hatte machen wollen, fing sie an zu weinen. Die Tränen brannten auf ihrer geschundenen Haut. »Was hast du mir angetan, Conrad?«
12
Ragnhild konnte sich nicht mehr erinnern, wie sie die letzten Tage überlebt hatte. Wie hatte sie es
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