Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
erbost. Es war wirklich unerhört. Beileidsbekundungen zum Tod des Bruders wären mehr als angebracht gewesen. Sei es auch dahingestellt, wie gut oder schlecht das Verhältnis zwischen den Brüdern gewesen war. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte die beiden Grauhaarigen zur Rede gestellt, doch er wusste, dass es unvorstellbar war, zwei weit ältere und so hoch angesehene Ratsherren öffentlich zu tadeln. Conrad fühlte sich zunehmend unwohl in seiner Haut und hatte gerade beschlossen, die Badestube vorzeitig zu verlassen, als zu seiner Erleichterung sein Freund Willekin eintrat.
Vielleicht war es das Auftauchen Willekins, vielleicht aber auch Conrads zorniger Blick, der Hans Wulfhagen vertrieb. Höflich wünschte er den beiden Männern noch einen angenehmen Tag und verschwand.
Conrad war es mehr als recht. Nun konnte er mit Willekin besprechen, was ihn seit dem Eintreffen der Nachricht über das Schiffsunglück beschäftigte.
Wie alle Anwesenden vollkommen nackt, gesellte der Ratsherr sich zu Conrad in den Zuber. Sein weißer, hagerer Körper bot ein stimmiges Bild zu seinem langen, blassen Gesicht. Conrad musste an sich halten, um ihn nicht anzustarren. Ein jeder schien in der Badestube aufgrund seiner Nacktheit etwas von seiner Autorität einzubüßen; so auch Willekin. Noch während er sich im Wasser niederließ, begann er schon mit seinen ausschweifenden Beileidsbekundungen.
»Wie außerordentlich schrecklich, was mir da zu Ohren gekommen ist! Ich spreche Euch mein innigstes Beileid aus, mein Freund. Der Verlust eines Bruders muss meinen Schmerz darüber, nie einen gehabt zu haben, weit übertreffen!«
Conrad bedankte sich, doch er durchschaute seinen langjährigen Freund natürlich sofort. Den anwesenden Zuhörern allerdings verriet Willekin mit keiner seiner Regungen, dass er ebenso wenig um Alberts Dahinschwinden trauerte wie Conrad. Er klang so überzeugend, dass wohl selbst Conrad auf seine Reden hereingefallen wäre, wenn er ihn nicht besser gekannt hätte. Während die Worte Willekins nur so auf ihn einprasselten, holte er mit einem Wink den Bader heran und befahl ihm: »Zieht die Vorhänge zu, wir wollen ungestört sein«.
Der Bader tat umgehend, was sein Kunde wünschte. Es war nicht ungewöhnlich, dass man sich hierher zurückzog, um sich zu besprechen. Zu diesem Zweck konnten die einzelnen Zuber mit Vorhängen abgetrennt werden.
Sofort hörte Willekin auf zu reden. Das fortwährende, alles übertönende Geplätscher des Wassers in der Badestube machte weitere scheinheilige Worte überflüssig. Ebenso unnötig war eine Einleitung zu dem Gespräch, das Conrad nun führen wollte. Zwar im Flüsterton, jedoch ohne Umschweife sagte er: »Auch wenn ich zugeben muss, dass meine Trauer sich in überschaubaren Grenzen hält, bringt der Tod Alberts mir einiges an Scherereien ein. Der Rat hat es zwar noch nicht beschlossen, aber man wird mir als ältestem männlichem Verwandten zweifellos die Vormundschaft für Ragnhild übertragen. Folglich werde ich, neben der Verwaltung seines Vermögens, auch für sein Weib und seine Kinder sorgen müssen.«
»Dieser Beschluss wird in der Tat nicht lange auf sich warten lassen – doch mit diesen Pflichten werden auch Rechte einhergehen. Denk einmal nach, diese Muntwaltschaft wird es dir erlauben, das Weib nach deinem Gutdünken neu zu verheiraten. Dann bist du sie und Albert mit einem Streich los.«
»Daran habe ich natürlich auch schon gedacht. Doch muss ich dabei vorsichtig vorgehen. Ich habe Feinde im Rat. Jetzt, da mein Leumund bereits angekratzt ist, kann ich das Weib ja schlecht mit dem nächstbesten Bauernsohn vermählen. Alberts Befürworter würden mir mangelnde Fürsorgepflicht vorwerfen, und auch die früheren Gefährten meines Vaters würden sich auf jede meiner Missetaten stürzen wie die Wölfe auf das Lamm. Eine Verbindung unter ihrem Stand ist also undenkbar, aber eine Verbindung innerhalb ihres Standes ist nicht weniger kompliziert, wie mir scheint.«
»Wie meinst du das? So wie es sich für mich darstellt, müsste man doch bloß dafür Sorge tragen, dass der Zukünftige deiner Schwägerin zumindest einigermaßen angesehen und unerheblich vermögend ist – ein Kaufmann vielleicht. Nicht mehr und nicht weniger. So jemand lässt sich doch sicher finden.«
»Ha«, lachte Conrad bitter auf. »Dieser Kaufmann darf allerdings keine besonders hohen Ansprüche stellen. Albert war zum Zeitpunkt seines Todes schließlich noch kein gewähltes
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