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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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der Kaiser Heinrich.«
    »Kaiser Heinrich?« Die Aufregung stand Magdalena ins Gesicht geschrieben. »Was hatte Kaiser Heinrich mit Trithemius zu schaffen? Kaiser Heinrich war beinahe 500 Jahre tot, als Trithemius das Zeitliche segnete!«
    »Das war auch mein erster Gedanke und macht die Sache nicht gerade einfacher. Und doch muss irgendeine Verbindung zwischenihm und dem Okkultisten Trithemius bestehen, sonst wäre ihm nicht daran gelegen gewesen, ihn auf seinem Epitaph zu erwähnen.«
    Den Blick auf das Pergament gerichtet, schwiegen beide nachdenklich, bis Magdalena aufgeregt rief: »Es gibt in der Tat eine Verbindung zwischen Kaiser Heinrich und dem Abt Trithemius: Tilman Riemenschneider!«
    Schweinehirt schüttelte unwillig den Kopf, worauf Magdalena es vorzog, ihre Gedanken für sich zu behalten. Schließlich trennten sich ihre Wege. Magdalena begab sich zum ›Schwanen‹ und Wendelin in die Abtei, wo er von Bruder Lucius erwartet wurde.
    Warum hätte Schweinehirt dem blinden Bibliothekar die neuen Erkenntnisse verschweigen sollen? Da der alte Mönch den geheimnisumwitterten Abt noch von Angesicht gekannt hatte und seinem Andenken nicht gerade wohlwollend gegenüberstand, konnte er bei der Entschlüsselung der Inschrift nur von Nutzen sein.
    Zunächst wollte er gar nicht glauben, dass Schweinehirt den Wortlaut auf dem verschollenen Bruchstück des Epitaphs kannte, dann sagte er: »Lest mir die Zeile vor, damit ich sie vor meinem inneren Augen zu sehen vermag.«
    Schweinehirt tat, was Lucius von ihm verlangte.
    »Und jetzt nennt mir Majuskeln und Minuskeln 8 !«
    »Die Schriftzeile enthält fünf Großbuchstaben«, erwiderte Wendelin, »das I am Anfang, J und T von Johannes Trithemius und das C und H der beiden letzten Abkürzungen, wobei es sich fraglos um Caesar Henricus handeln dürfte. Oder erkennt Ihr darin etwas anderes?«
    »Da habt Ihr völlig recht: Cae. Hen. ist eine oft wiederkehrende Abkürzung. Auch der Anfang des Schriftbandes bedarf keiner langen Diskussion. Die altchristlichen Kirchenväter wie Isidor von Sevilla oder Johannes von Damaskus gebrauchten sie häufig. I. aet. bedeutet in aeternum , also bis in alle Ewigkeit. Um Zeit, Platz und Tinte zusparen, bedienten sie sich dieser Abkürzung. Aber alles andere wird schwierig. ta.li – das kann alles und nichts bedeuten.«
    Schweinehirt wischte sich mit der Hand übers Gesicht, wie er es immer tat, wenn er nicht weiterwusste. In einem Anflug von Resignation bemerkte er: »Gesetzt den Fall, Abt Trithemius bediente sich bei der Inschrift einer seiner kryptographischen Erfindungen, dann ist es ohnehin aussichtslos, das Geheimnis zu lösen. Es sei denn …«
    »Es sei denn?«, wiederholte Bruder Lucius fragend, und dabei überzog ein süffisantes Grinsen sein Gesicht.
    »Nun ja, das Buch, welches der hintergründige Abt über Kryptographie geschrieben hat, könnte uns vielleicht einer Lösung näherbringen; aber das haben die Bücherdiebe des Papstes sicher auch nach Rom gebracht. Wer weiß, in welcher Bibliothek des Abendlandes ein weiteres Exemplar verwahrt wird. Könnt Ihr mir sagen, Bruder Lucius, was Euch an meiner Rede so belustigt?«
    »Ach ja.« Der blinde Bibliothekar tat einen tiefen Seufzer. »Zwar haben die Päpstlichen alle Bücher von Trithemius mitgenommen, die Bücher – wohlgemerkt –, aber nicht die Manuskripte, nach denen die Bücher gedruckt wurden!«
    »Wollt Ihr damit sagen, diese Manuskripte befinden sich noch immer im Besitz der Abtei?« Aufgeregt starrte Schweinehirt in Lucius’ tote Augen.
    Die blickten, wie stets, eine Handspanne an ihm vorbei, was jeden Fragesteller ein wenig in Verlegenheit brachte. Lucius antwortete nicht. Stattdessen ging er zielstrebig wie ein Sehender auf einen tönernen, drei Klafter hohen Krug zu, wie sie, mit Wasser gefüllt, in allen Bibliotheken aufgestellt waren, um die staubige, trockene Luft verträglicher zu machen. Doch statt Wasser enthielt der Krug sechs zusammengerollte Manuskripte, deren Seiten Bruder Lucius mit Daumen und Zeigefinger prüfte, wobei er mit geneigtem Kopf dem Rascheln des Papiers lauschte. Wortlos reichte er eine davon Wendelin Schweinehirt.
    Der kam aus dem Staunen nicht heraus, als er die Titelseite las: Polygraphiae libri sex . »Sechs Bücher über Polygraphie«, murmelte er leise vor sich hin, »gewidmet Kaiser Maximilian.« Und nach einer Pause: »Bruder Lucius, wie habt Ihr gerade dieses Buch erkannt? Oder habt Ihr gar nicht Euer Augenlicht verloren und spielt

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