Die Frau des Seiltaenzers
denn so dringend sei, dass man ihn zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett hole.
Es sei von größter Wichtigkeit, erwiderte Schweinehirt, er müsse Magdalena sprechen.
Der Wirt machte eine unanständige Bemerkung. Wenn er es so nötig habe, könne er doch auch auf die Hübschlerinnen im Badehaus zurückgreifen. Aber dann verwies er Wendelin auf Magdalenas Zimmer im ersten Stockwerk rechts am Ende des Ganges.
Magdalena erschrak zu Tode, als Schweinehirt plötzlich mit seiner Laterne, die einen langen Schatten warf, vor ihrem Lager stand.
»Wach auf!«, rief er leise und mit gepresster Stimme. »Ich weiß, wo die ›Bücher der Weisheit‹ verborgen sind!«
Magdalena setzte sich auf. Es dauerte eine Weile, bis ihr klar wurde, dass sie nicht träumte. »Die ›Bücher der Weisheit‹?«, fragte sie verschlafen.
»Wach auf, Magdalena!«, rief Wendelin ungehalten. Mit dem Pergament vor ihren Augen herumfuchtelnd, begann er: »Sieh hier: Wir sind davon ausgegangen dom.Cae.Hen. bedeute so viel wie: unser Herr, der Kaiser Heinrich.«
»Das ist naheliegend«, bemerkte Magdalena, die ganz allmählich zu sich kam.
»Naheliegend, gewiss. Vermutlich wählte Trithemius genau deshalb diese Formulierung. Aber dom.Cae.Hen. bedeutet in Wahrheit: domo.Caesaris.Henrici , also: im Dom des Kaisers Heinrich!«
»Der Dom, den Kaiser Heinrich in Bamberg errichtet hat«, bemerkte Magdalena beinahe andächtig.
Schweinehirt nickte stumm. Da fiel ihm Magdalena um den Hals, küsste ihn und drückte ihn an sich.
Wie oft hatte Wendelin ihre Nähe herbeigesehnt, aber nicht den Mut aufgebracht, sich ihr zu nähern. Dass die Initiative nun von ihr ausging, erfüllte ihn mit Genugtuung.
Magdalena nahm Wendelin das Pergament aus der Hand. Mit zitternden Fingern fuhr sie über die Zeile und murmelte: »InEwigkeit schweigen die Bücher des Johannes Trithemius an ihrem Ort im Dom des Kaisers Heinrich.«
Mit einem Mal war sie ganz wach und sagte: »Noch heute, in aller Frühe, brechen wir auf in Richtung Bamberg!«
21. KAPITEL
D ie halbe Stadt schien auf den Beinen, als Magdalena und Wendelin, von Westen kommend, dem Bamberger Rathaus zustrebten. Im territorialen Streit mit dem Fürstbischof hatten es die Bürger der Stadt kurzerhand in die Mitte der Regnitz gebaut, einen Fluss, der die Stadt in zwei Teile spaltete.
Am Markt, jenseits des Flusses, wo die Marktfrauen zu früher Stunde feilboten, was Hof und Felder hergaben, wurden sie im Gedränge mitgerissen, und da sie ohnehin nicht wussten, wo sie Station machen sollten, ließen die Ankömmlinge sich treiben wie Blätter im Herbstwind, ihr Gepäck aus Furcht vor Dieben fest an sich pressend.
Die Waschweiber, die ihnen, vom Fluss kommend, mit hochgeschürzten Röcken begegneten, machten auf der Stelle kehrt in Richtung Mühlenviertel, als sie hörten, was geschehen war, und kreischten mit heiseren Stimmen: »Ein Wunder, ein Wunder, ein Wunder!«
Wenngleich mit dem Fürstbischof in ständiger Fehde lebend – in dieser Hinsicht standen sie den Würzburgern in keiner Weise nach –, waren die Bamberger Bürger für Wunder äußerst empfänglich. Das bewog den Herrn vom Domberg dazu, ab und an ein solches zu inszenieren, gleich dem Hochamt am Tag der Erscheinung des Herrn. Nach biblischem Vorbild genasen unheilbar Kranke, Blinde und Lahme über Nacht durch Fürsprache Seiner Exzellenz. Aber auch levitierende Nonnen aus einem der umliegenden Klöster, also Nonnen, die sich in Verzückung über ihren Glauben stehenden Fußes vom Boden erhoben und drei Klafter über demselbenschwebten, ernteten große Bewunderung. Allerhöchsten Anklang fand jedoch die wundersame Erweckung von Toten, vor allem dann, wenn sie nachweislich bereits einen oder mehrere Tage eingesargt verbracht hatten.
An diesem Morgen ging das Gerücht, eine weibliche Wasserleiche habe sich am Wehr der Regnitz oberhalb des Rathauses verfangen, kopfüber im Wasser treibend, mit einem auf die Brust geschnürten Schleifstein. Als Fischer sie mit Enterhaken ans Ufer zogen, habe sie, nachdem eine Fischersfrau drei heftige Kreuzzeichen geschlagen hatte, die Augen geöffnet und lächelnd in die Morgensonne geblinzelt.
Lechzend nach dem Unfassbaren, drängten sich die Bamberger nun um das Wehr, um Zeugen des Wunders zu sein – mitten unter ihnen Magdalena und Wendelin. Noch ehe die beiden das vermeintliche Wunder zu Gesicht bekamen, geriet die drängende, fromme Lieder anstimmende Pilgerschar außer Kontrolle. Schnell sprach sich herum,
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