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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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dass die Wasserleiche keineswegs zu neuem Leben erweckt worden war, sondern wohl nur sterbend die Augen offen behalten hatte und diese nach wie vor starr und tot gen Himmel richtete.
    Bei den Bürgern rief dies höchsten Unwillen hervor, schließlich hatten sie sich so auf ein Wunder gefreut, und die Bamberger, allen voran die Waschweiber, denen damit wochenlanger Gesprächsstoff abhanden gekommen war, schimpften und geiferten und kreischten, Fürstbischof Weigand solle der Teufel holen, sie derart an der Nase herumzuführen. Wo sei denn nun das Wunder?
    Es gab keines. Das Weib mit dem Schleifstein auf der Brust war ertränkt worden und hatte so das Zeitliche gesegnet. Zu diesem Ergebnis kam der herbeigerufene Stadtmedicus vom Sand, einem Stadtteil zu Füßen des Dombergs. Und da niemand die Tote von Angesicht kannte und Zweifel bestanden, ob sie zu Lebzeiten dem rechten Glauben angehört hatte, wurde nach dem Totengräber gerufen, der sie außerhalb der Stadt auf einem für solche Fälle vorgesehenen Acker verscharren sollte.
    Enttäuscht zerstreuten sich die Gaffer, und Magdalena und Wendelin fanden Gelegenheit, einen Blick auf das ertränkte Frauenzimmer zu werfen. Noch immer blickte die Tote mit offenen Augen gen Himmel. Ihre langen Haare lagen wie verendete Schlangen auf dem Pflaster. Sie muss, dachte Magdalena, zu Lebzeiten von verhaltener Schönheit gewesen sein.
    Da trat eine Matrone hinzu, stemmte die Fäuste in die Hüften und beugte sich mit Ekel im Gesicht über die Leiche.
    »Das ist sie«, bemerkte sie schließlich. »Seit ein paar Tagen gewährte ich ihr und ihrem Begleiter Quartier. Die beiden machten keinen schlechten Eindruck, zahlten den Mietzins zwei Wochen im Voraus, gaben sich aber ziemlich geheimnisvoll, was ihren Namen und den Grund ihrer Anwesenheit betraf, so, als hätten sie etwas zu verschweigen.«
    Und Balthasar Kleinknecht, der Türmer der Oberen Pfarre, der von seinem Umgang hoch oben die halbe Stadt überblicken konnte und ebenfalls zu dem Spektakulum geeilt war, fügte hinzu: »Ich habe jeden Morgen beobachtet, wie sie den Weg hinüber zum Dom nahmen. Weiß Gott, was sie dort suchten. Geistliche Einkehr war es wohl nicht. Oder was glaubst du, Pfisterin?«
    »Nein«, erwiderte die Pfisterin, Wittfrau des Johann Pfister selig. Der hatte ihr ein schmalbrüstiges Haus in der ›Hölle‹ hinterlassen – so hieß die Gegend mit einer Ansammlung von Fachwerkhäusern, die sich ängstlich aneinanderschmiegten. »Nein, durch Frömmigkeit zeichneten sich beide nicht gerade aus. Sie verschmähten sogar die Sonntagsmesse. Wahrscheinlich waren es lutherische Protestanten!«
    »Waren? Wo ist ihr Begleiter?«, erkundigte sich der Türmer mit einer abfälligen Kopfbewegung zur Leiche hin.
    Die Pfisterin hob die Schultern: »Weiß ich’s? Du hast doch von deinem Turm alles im Blick! Ich habe den gelehrten Herrn heute noch nicht zu Gesicht bekommen.«
    »Sagtest du ›gelehrten Herrn‹?«, erregte sich Kleinknecht. »Auf mich machte er eher den Eindruck eines Vaganten, der mit seinerBuhle durch die Lande zieht. Wer weiß, womit sie ihren Lebensunterhalt bestritten haben.«
    »Hast du die beiden jemals aus der Nähe gesehen, Türmer?«
    »Das nicht, Pfisterin, aber auch von oben herab gewinnt man einen Eindruck, der es erlaubt, den Charakter eines Menschen zu beurteilen. Gerade von oben herab! Aber da kannst du überhaupt nicht mitreden!«
    Seit geraumer Zeit starrte Magdalena die aufgedunsene Wasserleiche an, wie gebannt von den weit aufgerissenen Augen. Ja, es schien, als verfolgte deren stumpfer Blick sie, als wollte die Tote im nächsten Moment zu reden beginnen. Die Morgensonne trocknete bereits ihre dunklen Schlangenhaare und ließ sie rötlich schimmern. Da ergriff Magdalena Wendelins Hand und drückte sie. Schweinehirt entging nicht, dass sie zitterte. Er sah sie fragend an.
    Magdalena drängte Wendelin beiseite. Dabei raunte sie ihm zu: »Ich glaube, das ist Xeranthe aus der Gauklertruppe. Die, die Rudolfo auf dem Gewissen hat und die auch mich töten wollte. Was heißt ich glaube, Wendelin? Ich bin mir sicher!«
    Kaum merklich schüttelte Schweinehirt den Kopf: »Bist du wirklich sicher?«, zischte er leise. »Der Tod durch Ertrinken verändert das Aussehen eines Menschen auf grauenvolle Weise!«
    »Ich weiß«, erwiderte Magdalena mit zitternder Stimme, »aber Xeranthes Gesicht ist mir hundertmal im Traum erschienen. Ihr Aussehen hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Glaube mir, sie

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