Die Frau des Seiltaenzers
Wendelin warfen sich vielsagende Blicke zu. Dann sagte Magdalena: »Aber es war zweifellos Mord. Oder habt Ihr eine andere Erklärung für den Schleifstein um Xeranthes Hals?«
»Woher kennt Ihr Xeranthes Namen?«, fiel ihr die Pfisterin ins Wort und sah Magdalena prüfend an.
Magdalena erschrak: »Ihr erwähntet ihn am Fundort der Leiche, unten am Wehr«, antwortete sie, ohne nachzudenken. Und um das Thema zu wechseln, fragte sie: »Ein Schriftgelehrter, sagtet Ihr, sei ihr Buhle – wie war doch sein Name?«
»Athanasius Helmont. Das behauptete er jedenfalls. Helmont versicherte, Albrecht von Brandenburg, der Mainzer Erzbischof, habe ihn mit der Aufzeichnung gewisser Inschriften an kirchlichen Gebäuden beauftragt. Pah, als wenn ihn die etwas angingen! Tatsache ist, sein Zimmer ist voll von Papier und Pergamenten mit Sätzen in lateinischer Sprache und Abkürzungen, die kein Mensch versteht. Ihr seid doch Bibliothekare, könnt Ihr mir sagen, warum sich die Menschen mit solcherlei Narretei das Leben unnötig schwermachen? Ich meine, entweder soll eine Inschrift der Nachwelt etwas vermitteln, dann soll man sich klar und deutlich ausdrücken. Oder man will der Nachwelt etwas verheimlichen, dann soll man es bleiben lassen und nicht Grabsteine und Kirchenwände mit Rätseln verunstalten!«
»In der Tat, da ist etwas Wahres dran«, meinte Magdalena lachend. »Und dieser Helmont beschäftigt sich mit nichts anderem als der Aufzeichnung von Inschriften?«
Die Pfisterin erhob sich, und mit einem vielversprechenden Wink sagte sie: »Kommt!«
Die Kammer des Schriftgelehrten lag im ersten Stockwerk, gleich rechter Hand neben der Treppe. Deren einzelne Stufenverursachten bei jedem Schritt ein anderes Knarzen, sodass jeder zwischen der unteren Schwelle und der oberen Stufe ein hässliches Konzert verursachte. Wie alle Kammern des Hauses war die Kammer des Schriftgelehrten nicht verschlossen, denn von der Haustüre abgesehen, verfügte keine Türe über ein Schloss. Der Raum mit drei Fenstern zur ›Hölle‹ hin hatte eine so niedrige Decke, dass ein stattlicher Mann sich nur mit eingezogenem Kopf fortbewegen konnte.
In der Mitte stand ein Tisch, übersät mit Zeichnungen, Plänen und Inschriften. Auch auf den Bettkästen, dem einzigen Stuhl, ja sogar auf dem beplankten Fußboden lagen Blätter ohne erkennbare Ordnung herum. Als Wendelin einen Fuß in die Stube setzen wollte, hielt ihn die Pfisterin mit ausgestrecktem Arm und der Bemerkung zurück, gewiss sei es dem Schriftgelehrten nicht recht, wenn ein Fremder das Zimmer in seiner Abwesenheit betrete.
Später, als Magdalena und Wendelin sich in ihrer Kammer unter dem Dach zur Ruhe begaben, meinte Magdalena: »Glaubst du, dass sich Albrecht von Brandenburg eines Steganographen oder Kryptographen bedient, um an die ›Bücher der Weisheit‹ zu gelangen?«
»Keine Frage«, antwortete Wendelin, »dem Mainzer Fürstbischof kann man beinahe alles zutrauen, und wenn’s um Geld geht, wirklich alles. Aber auch für den Geheimschriftgelehrten Helmont würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen …«
»Du meinst, er wirtschaftet in die eigene Tasche? Soll heißen: Für den Fall, dass er die ›Bücher der Weisheit‹ findet, könnte Helmont seinen Auftraggeber vergessen und untertauchen?«
Schweinehirt hob die Augenbrauen: »Weiß man’s? Der gewaltsame Tod seiner Buhle wirft manche Frage auf.«
»So rede schon und sprich nicht in Rätseln!«, keifte Magdalena aufgebracht.
»Nun ja«, bemerkte Wendelin süffisant grinsend, »vielleicht kommen wir zu spät, und Helmont hat die ›Bücher der Weisheit‹ bereits gefunden und versucht, sich abzusetzen. Albrecht von Brandenburg bekam Wind davon und ließ Xeranthe ermorden, gleichsam alsWarnung. Helmont selbst zu töten erscheint wenig ratsam, denn vielleicht ist er der Einzige, der das Versteck der Bücher des Trithemius kennt.«
»Noch eine Möglichkeit?«
»Die beiden haben die ›Bücher der Weisheit‹ gefunden und sind in Streit geraten, wem sie ihren kostbaren Fund zum Kauf anbieten sollen. Oder: Sie haben die Bücher gefunden, und auf den Büchern liegt ein todbringender Fluch.«
»Wendelin«, sagte Magdalena durchaus bewundernd, »du gäbst einen eindrucksvollen Geschichtenerzähler her und könntest von Ort zu Ort ziehen und das Volk unterhalten. Aber warum gehst du immer davon aus, dass Helmont die Bücher bereits gefunden hat? Das viele Papier in seiner Kammer beweist gar nichts. Gerade du müsstest doch wissen:
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