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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Papier ist geduldig!«
    Da nickte Schweinehirt, als hätte ihn Magdalena in die Wirklichkeit zurückgeholt.
    »Lass uns morgen in aller Frühe mit der Suche beginnen«, sagte sie leise, aber mit Nachdruck. »Schließlich verfügen wir über mehr Wissen als alle, die hinter den ›Büchern der Weisheit‹ her sind.«
    In dieser Nacht, der ersten an einem fremden Ort und in fremder Umgebung, gingen Magdalena tausend Dinge durch den Kopf. Während der gewaltsame Tod Xeranthes bei den Bamberger Bürgern kaum Interesse fand, ließ er Magdalena nicht in Ruhe.
    Wer hatte Grund, die Wahrsagerin umzubringen? Oder hatte sie Selbstmord begangen? Aus welchen Motiven? Welche Rolle spielte der Geheimschriftgelehrte bei ihrem Ableben?
    Gewiss, Magdalena hatte dem Weibsteufel schon tausendmal den Tod gewünscht, aber nun, da der Fluch sich erfüllt zu haben schien, fühlte sie sich schuldig, und das Ereignis belastete sie über alle Maßen.
    Gedankenverloren nahm sie das Knarzen und Jammern der Treppenstufen zuerst kaum wahr, das in langen Abständen zu ihr nachoben drang, so, als bemühte sich der Verursacher möglichst unauffällig zu bleiben. Dann war es längere Zeit still.
    Vielleicht, dachte sie im Halbschlaf, war der Geheimschriftgelehrte zurückgekehrt. Da vernahm sie erneut die quälenden Geräusche der hölzernen Stufen.
    »Wendelin!«, flüsterte Magdalena und rüttelte Schweinehirt wach. »Hörst du nicht? Die Schritte auf der Treppe?«
    Schweinehirt wälzte sich unwillig zur Seite und antwortete gähnend und schlaftrunken: »Wird wohl die Pfisterin sein, die nach dem Rechten sieht!«
    »Oder der Geheimschriftgelehrte!«
    »Oder der.« Wendelin war zu müde, um einen klaren Gedanken zu fassen. »Schlaf, bevor der Tag anbricht …«
    Am Morgen erkundigte sich die Wittfrau misstrauisch, was Magdalena und Wendelin zu nachtschlafender Zeit denn gesucht hätten? In einem alten Haus wie diesem bleibe kein Schritt geheim. Dank der Hausgeister, die das uralte Gebälk bevölkerten, fügte sie hinzu.
    Als Magdalena und Wendelin beteuerten, sie hätten ihre Kammer nicht verlassen und seien ihrerseits der Ansicht gewesen, sie, die Pfisterin, habe nach dem Rechten geschaut, da erhob sich die Wittfrau, stürmte, das Ächzen der Treppe missachtend, nach oben, riss die Türe zur Kammer des Geheimschriftgelehrten auf – dann war es lange still.
    Langsamen Schrittes kam sie schließlich die Treppe herab. Mit fragendem Gesichtsausdruck trat ihr Magdalena entgegen.
    »Er ist fort«, sagte die Wittfrau. Und kopfschüttelnd fügte sie hinzu: »Mit allem, was er besaß.« Dann öffnete sie die linke Faust: »Auf dem Tisch lagen vier Gulden. Dabei schuldete er mir keinen Kreuzer. Im Gegenteil, er hatte die Miete für zwei Wochen im Voraus bezahlt.«
    »Er war eben ein guter Mensch«, bemerkte Schweinehirt mit einem Anflug von Ironie.
    Die Pfisterin schien es nicht zu bemerken. »Dann«, erwiderte sie mit zornig funkelnden Augen, »ist es umso rätselhafter, dass er bei Nacht und Nebel verschwindet.«
    Auf dem Weg zum Domberg murmelte Wendelin die Inschrift auf dem geborstenen Epitaph des Trithemius vor sich hin. Sie hatte sich so in sein Gedächtnis eingeprägt, dass er sie sogar im Schlaf hätte hersagen können: »In alle Ewigkeit schweigen die Bücher des Johannes Trithemius an ihrem Ort, im Dom des Kaisers Heinrich.«
    Im Gehen bemerkte Magdalena, ohne Schweinehirt anzusehen: »Ich hoffe nur, Trithemius’ Wunsch geht nicht in Erfüllung. Aber wie das Leben zeigt, irren sich kluge Männer sogar am häufigsten.«
    Am Domplatz angelangt, ließen die beiden das imposante Bauwerk erst einmal auf sich wirken. Vier filigrane Türme, acht Stockwerke übereinander, mit spitzen Helmen, die wie Nadeln in den Himmel ragten, säumten einen Ost- und einen Westchor. Dazwischen ein Kirchenschiff, so hoch, als stünde es im Wettstreit mit den Türmen. Dazu vier mächtige Portale an Stellen, an denen man sie keinesfalls erwarten würde: die Adams- und die Gnadenpforte seitlich am Ostchor, das Fürstenportal, also der Haupteingang, völlig unsymmetrisch und keineswegs in der Mitte des Kirchenschiffs nach Norden hin. Beinahe versteckt im Nordwesten die Veitspforte und gegenüber in einem Anbau des Westchores eine heimliche Gittertüre. Nach Süden hin angebaut ein Kreuzgang und der Kapitelsaal. Im Ganzen gesehen ein verwirrendes Labyrinth von einer Starrheit und Strenge, die geeignet war, dem unkundigen Betrachter Angst einzuflößen.
    »Ich habe Angst«,

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