Die Frau des Seiltaenzers
verfinsterten sich seine Züge: »Es gibt Menschen, die bereit sind zu töten, um in den Besitz eines dieser Bücher zu kommen.«
Und Ihr seid einer von ihnen, lag es Magdalena auf der Zunge. Aber sie zog es vor zu schweigen. Es schien ratsam, den Unbekannten nicht vor den Kopf zu stoßen. »Ihr meint, Rudolfo lebt gefährlich?«, fragte sie.
»Nicht nur der Große Rudolfo! Auch Ihr solltet besorgt sein, wenn bekannt wird, dass Ihr die Frau des Seiltänzers seid!«
»Aber das bin ich nicht!«
»Ach was. Immerhin teilt Ihr mit ihm das Lager! Bedarf es da noch des Segens der Pfaffen? Jedenfalls wird Euch niemand abnehmen, der Große Rudolfo habe Euch nicht in sein Geheimnis eingeweiht. Folglich lebt Ihr nicht weniger gefährlich als der Seiltänzer. Aber ich will Euch nicht ängstigen.«
Magdalena fühlte sich äußerst unwohl. Um das Gespräch zu beenden, meinte sie: »Ich soll also Rudolfo überreden, Euch sein Geheimnis anzuvertrauen.«
»Das könnte Euch zweifellos von Nutzen sein. Was führt Ihr für ein elendes Dasein? Müsst von Almosen leben, welche die Leute aus den Fenstern werfen. Mit tausend Golddukaten könntet Ihr von heute auf morgen ein bürgerliches Leben führen. Überlegt es Euch. Ich melde mich wieder. So leicht lässt sich einer wie ich nicht abschütteln!« Plötzlich sprang er auf, ergriff seinen Mantel und die Laterne und verschwand wie ein Spuk im Schutze der Dunkelheit.
In der Zwischenzeit war der Mond hinter den Baumwipfeln verschwunden, und Magdalena hatte Mühe, den Rückweg zum Lager der Gaukler zu finden, obwohl die Morgendämmerung bereits fortgeschritten war. Magdalena war müde von dem weiten Weg in der Dunkelheit, und sie erschrak heftig, als sich plötzlich vor ihr eine Gestalt aus der Dunkelheit schälte und entgegenkam: Rudolfo.
Magdalena fühlte sich ertappt und stammelte ein paar unpassende Worte, dass sie die frische Morgenluft genieße und ob er auch keinen Schlaf fände.
Ohne ihre Frage zu erwidern, trat Rudolfo vor sie hin, fasste sie an den Oberarmen und sagte mit gedämpfter Stimme: »Du bisteine schlechte Schauspielerin, jedenfalls hast du kein Talent zum Lügen.«
»Ich habe mich an der Weggabelung mit dem Unbekannten getroffen, der dich gestern aufgesucht hat«, kam Magdalena der Frage des Seiltänzers zuvor. Sie spürte die Kraft, mit der Rudolfos Hände ihre Arme fester und fester umklammerten, und ein wohliger Schauer fuhr durch ihren Leib.
»Du spionierst mir also hinterher«, bemerkte Rudolfo, und in seiner Stimme lag ein Anflug von Enttäuschung. »Hast du so wenig Vertrauen zu mir?«
»Ich wollte … doch … nur –«, Magdalena geriet ins Stottern, »ich wollte doch nur etwas mehr in Erfahrung bringen über dich und deine Vergangenheit!«
»Und ist es dir gelungen?«
Magdalena hob die Schultern und blickte verlegen zur Seite. »Immerhin weiß ich jetzt – jedenfalls behauptete das der Fremde –, dass du einer der Neun Unsichtbaren bist. Auch wenn mir weiterhin nicht klar ist, was sich dahinter verbirgt.« Magdalena löste sich aus seiner Umklammerung, fiel Rudolfo um den Hals und rief leise: »Ich bitte dich, sage mir die Wahrheit. Stehst du mit dem Teufel im Bunde?«
Entrüstet hob der Seiltänzer die Augenbrauen.
Unsicher, ob sie ihn mit ihrer Frage verletzt oder schlichtweg ertappt hatte, suchte Magdalena seine Rechte und presste sie gegen ihren Busen, als hätte sie Angst, Rudolfo zu verlieren. Der ließ sie, ohne zu antworten, einen Augenblick gewähren, dann legte er seinen Arm um ihre Taille und führte sie stumm zu seinem Gauklerwagen.
Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne – aus der Ferne hörte man einen Hahn krähen – hatten die Aue wohlig erwärmt, sodass das Innere des Wagens kühl wie ein Kellergewölbe wirkte. Rudolfo legte Magdalena, die auf der Sitzbank linker Hand unter den Büchern Platz nahm, seinen weißen Umhang um die Schultern. Dann setzte er sich ihr gegenüber.
»Um deine Frage zu beantworten«, begann er umständlich, als fiele es ihm nicht leicht, darüber zu reden, »es ist nicht der Teufel, mit dem ich im Bunde stehe. Dennoch beherrsche ich meine Kunst nicht aufgrund außerordentlicher Begabung oder weil ich von Kindesbeinen an auf dem Seil geübt hätte, nein, meine Kunst beherrsche ich aufgrund des achten Buches der neun Bücher, in welchen die Schätze der Weisheit verzeichnet sind.«
Magdalena sah Rudolfo eine Weile schweigend an. Ihr Blick verriet, dass sie nichts, aber auch gar nichts von dem
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