Die Frau des Seiltaenzers
nach Mainz und wird mit seiner Gauklertruppe noch heute oder am morgigen Tag hier eintreffen. Ich habe mit Seiner kurfürstlichen Gnaden ausgehandelt, dass wir morgen und die folgenden zwei Tage in Eurer Stadt unsere Künste zeigen. Der Große Rudolfo wird, was noch keiner vor ihm zustande gebracht hat, auf einem Hanfseil den höchsten Turm des Doms besteigen!«
Die Zecher und Nichtstuer, die Tagelöhner ohne Arbeit und die Wichtigtuer der Stadt, welche die Wirtsstube bevölkerten, klatschten in die Hände und ließen die fremde Frau, der sie mit so viel Misstrauen und Unrecht begegnet waren, hochleben, und einige stürzten, ohne ihre Zeche zu begleichen, zur Türe hinaus, um den neuesten Stadtklatsch gegen bare Münze zu verbreiten. Die Mainzer Bürger gierten nach Neuigkeiten und, unersättlich, waren sie durchaus bereit, diese mit klingender Münze zu honorieren.
»Meinen Glückwunsch, das habt Ihr gut gemacht«, bemerkte der Gesandte des Fuggers anerkennend, während der Wirt, einekleinwüchsige, schmuddelige Erscheinung mit einem aufgedunsenen Gesicht wie ein Vollmond, zwei Humpen Bier vor sie hinstellte. »Und Ihr seid wirklich die Frau des Seiltänzers?«
»Nicht wirklich«, erwiderte Magdalena ein wenig verlegen, was ihr jedoch eine besondere Liebenswürdigkeit verlieh. »Rudolfo und ich leben seit kurzer Zeit wie Mann und Frau. Ich bin also seine Bettfrau, und ich liebe ihn – vorausgesetzt, Ihr wisst, was Liebe ist.«
Matthäus Schwarz, trotz seiner hohen Stellung noch jung an Jahren und in Liebesdingen eher unerfahren, wurde nachdenklich, ja verunsichert.
»Wisst Ihr«, nahm Magdalena den Gedanken wieder auf, »bisher habe ich nur unseren Herrn Jesus geliebt, so wie es mich gelehrt wurde von Thomas von Aquino, Augustinus, Basilius und Johannes Chrysostomos und wie sie alle heißen, täglich vierundzwanzig Stunden, von der Matutin bis zur Komplet.«
»Ihr wart im Kloster?«
»Seligenpforten! Bis kurz vor der Profess.« Magdalena lüftete kurz die Haube, unter der ihre immer noch kurzen Haare zum Vorschein kamen. Dann zupfte sie sie schnell wieder zurecht. Dummes Luder, dachte sie in einer schweigsamen Pause, die sich unerwartet in die Länge zog, warum tust du das?
»Dann ist der Große Rudolfo Euer …«, begann der Gesandte stockend.
»… erster Mann, ganz recht. Zuvor ›erkannte‹ ich noch keinen Mann, wie es so schön bei Lukas 1,34 heißt. Aber warum erzähle ich Euch das?« Magdalena wurde verlegen. Auf eine unergründliche Weise hatte sie Vertrauen zu dem Unbekannten gefasst.
Betroffen von Magdalenas Ehrlichkeit, entgegnete Matthäus Schwarz: »Verzeiht meine Neugierde, aber ich fragte nicht ohne Grund. Gewiss kennt Ihr den Namen Jakob Fugger. Sein Ruf macht auch nicht vor Klostermauern halt. Der Fugger, in dessen Diensten ich stehe, ist der reichste Kaufmann und Bankier in Europa. Er ist reicher als reich. Ich muss es wissen, denn seit ein paar Jahrenführe ich seine Bücher.« Schwarz fügte schmunzelnd hinzu: »Über meine Erfahrungen habe ich sogar ein viel gefragtes Buch geschrieben: ›Was das Buchhalten sei‹ – von Matthäus Schwarz.«
»Meine Hochachtung, Herr Buchhalter! Ich dachte schon, nur fromme Gedanken und die Bibel dürften zwischen zwei Buchdeckel gepresst werden. Dann steht Ihr also nicht nur mit den Zahlen, sondern auch mit den Buchstaben auf Du und Du? Wirklich bewundernswert.«
Verunsichert, ob ihn die stolze Frau bewunderte oder ob sie sich nur lustig machte – ihr Verhalten gab ohnehin manches Rätsel auf –, sagte der Abgesandte des Fuggers: »Nennt mich nicht Herr Buchhalter. Das klingt ebenso anzüglich, als würde ich zu Euch Frau Gauklerin sagen. Ich heiße Matthäus, aber so darf mich durchaus nicht jeder nennen. Dir gestatte ich es.«
»Magdalena«, sagte Magdalena und hob ihren hölzernen Humpen. Zwar schmeckte das Bier, das der Wirt serviert hatte, abscheulich, aber sie ließ sich das nicht anmerken. Stattdessen stellte sie die Frage: »Wie wird man reicher als reich?«
Matthäus wiegte den Kopf hin und her, als wüsste er nicht recht, was er antworten sollte. In Wahrheit lag der Grund für sein Zögern jedoch darin, dass es keine eindeutige Antwort gab. Schließlich erwiderte er: »Der Reichtum hat viele Verwandte. Aber Handel ist zweifellos die Mutter des Reichtums. Was die Fugger betrifft, so stammen sie aus bescheidenen schwäbischen Verhältnissen. Sie waren Weber, die bei Gott nicht mit Reichtum gesegnet waren. Im Laufe von gerade mal
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