Die Frau des Seiltaenzers
soweit man das aus der Ferne feststellen konnte.
Je näher der Abend kam, desto mehr sprachen die Zecher dem süffigen, klebrigen, dunklen Bier zu, das sie aus schmalen Holzscheffeln tranken und das sich trefflich eignete, ihre Sinne zu vernebeln. Eine weitere, wenn auch längst nicht so prickelnde Nachricht wusste der Krämer Kelberer zu vermelden: Der Fugger-Gesandte Matthäus Schwarz, von dem er Pfeffer, Salz und andere Gewürze beziehe, halte sich in der Stadt auf. Doch sein unangemeldeter Besuch gelte weniger ihm als Seiner kurfürstlichen Gnaden, die ihm, beziehungsweise seinem Herrn, dem Reichsgrafen Jakob Fugger, 11000 Gulden Zins schulde, allein für das letzte Jahr – von der Schuldsumme in Höhe von über 110000 Gulden ganz zu schweigen. Wie es aussähe, meinte Kelberer hinter vorgehaltener Hand, könne der Kardinal aber nicht einmal den Schuldzins begleichen, ohne sich am Domschatz zu vergreifen.
Da grölten die Trinker aus vollen Kehlen, sie hoben die Scheffel und schmetterten Schmährufe auf den Vater in Christo, und einer versuchte den anderen an Hohn und Häme zu übertreffen, indem sie Spottnamen riefen, von denen »Witwentröster« und »Weibergimpel« noch die harmloseren waren. Weinselig sprang der Bader Hinkfuß auf und rief: »Friss Dreck, scheiß Gold, so werden dir die Maidlein hold!« Nein, beliebt war Albrecht von Brandenburg nicht in seiner Residenzstadt!
Mitten in der überschäumenden Bierseligkeit ging die Türe der Wirtsstube auf, und das Grölen und Feixen verstummte auf einen Schlag.
Tief über den Tisch gebeugt, als wollte er sich verstecken, raunte der Krämer: »Die Neue des Kardinals und der Fugger-Gesandte Matthäus Schwarz!«
Als hätten sie es mit einer Heiligenerscheinung zu tun, gafften die Zecher Magdalena und den auffällig gekleideten Gesandten an. Einige kannten ihn von früheren Begegnungen, von denen ihnen vor allem die ungewöhnliche, geckenhafte Kleidung des Weitgereisten im Gedächtnis geblieben war. Die stolze Frau an seiner Seite war den meisten unbekannt. Stumm, beinahe andächtig, verfolgten sie, wie der Gesandte und die schöne Frau den Weg zu einem der Tische in der hintersten Ecke der Wirtsstube suchten und Platz nahmen.
Kelberer, der Matthäus Schwarz besser kannte als alle anderen, fasste sich ein Herz und rief über zwei Tische hinweg: »Welch eine Ehre, dass Ihr uns Gesellschaft leisten wollt, ehrenwerter Herr Gesandter!« Die anderen nickten und kamen wieder ins Reden.
»Und dass uns die Bettfrau Seiner kurfürstlichen Gnaden die Ehre erweist, ehrt uns noch mehr!«, rief der Bader Hinkfuß hinterher.
Da sprang Magdalena auf, nicht, weil sie sich von dem Wort Bettfrau brüskiert fühlte, sondern weil der vorlaute Mann es wagte, solch dreiste Unwahrheiten in die Welt zu setzen.
»Wie heißt du?«, herrschte sie den Bader an.
Der wäre am liebsten im Boden versunken ob des selbstsicheren Auftretens der fremden Frau und erwiderte kleinlaut: »In Mainz nennt man mich den Bader Hinkfuß.«
»Und wie kommt der Bader Hinkfuß zu der Behauptung, ich sei die Bettfrau des Kardinals?«
»Die Leute erzählen’s, außerdem habe ich Euch in Begleitung des Sekretärs Seiner kurfürstlichen Gnaden gesehen!«
»Und was besagt das?«
Hinkfuß wurde noch kleinlauter, als er ohnehin schon war: »Eigentlich nichts. Nein, eigentlich besagt das gar nichts.«
»Und warum verbreitest du dann derlei Unsinn?«
Hinkfuß warf dem Krämer einen hilfesuchenden Blick zu. Hatten sie nicht kurz zuvor noch ins selbe Horn gestoßen?
Schließlich erbarmte sich Kelberer des Baders und antwortete für ihn: »Der Hinkfuß erfährt viel, wenn der Tag lang ist, weil viele bei ihm ein und aus gehen. Die Leute reden halt gern. Und nicht alles entspricht der Wahrheit. Ihr seid also nicht die neue Bettfrau des Kardinals?«
Magdalena lachte befreit: »Gott bewahre! Albrecht von Brandenburg mag vielleicht ein bewundernswerter Kurfürst sein, aber die Vorstellung, mit ihm das Bett zu teilen – mit Verlaub –, das käme etwa dem Schlucken einer Kröte gleich. Ich hoffe, damit ist alles gesagt!«
In der Wirtsstube brach Jubel aus, ein Feixen und Jauchzen, übermütiger und lauter als zuvor, und Magdalena fand kaum Gelegenheit, noch etwas zu sagen.
»Nun wollt Ihr wissen, wer ich wirklich bin und was mich hierhergeführt hat. Ich bin Magdalena, die Frau des Seiltänzers.«
»Des Seiltänzers?«
»Ja, des Großen Rudolfo. Rudolfo, der größte Seiltänzer der Welt, ist auf dem Weg
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