Die Frau des Seiltaenzers
Kardinäle sind es, deren Lebenswandel eher dem verbrecherischer Dunkelmänner gleicht als jenem ehrbarer Arbeiter im Weinberg des Herrn. So heißt es doch in der Bibel?«
Magdalena nickte zustimmend, in Wahrheit war sie furchtbar enttäuscht, weil es ihr nicht gelingen wollte, das Gespräch auf Wichtigeres zu lenken. Da klopfte es an der Tür.
Hurtig warf sich Magdalena ein Kleid über, und Rudolfo verschwand im Schlafabteil des Gauklerwagens. Auf der Treppe zur Eingangstüre stand der Sekretär Seiner kurfürstlichen Gnaden und versuchte sich auf seine Art freundlich zu geben, indem er den Kopf leicht schräg hielt und den Mund zu einem aufgesetzten Grinsen verzog – eine Marktfrau konnte kein schlechterer Schauspieler sein.
»Mein hoher Herr, der erlauchte Kurfürst Albrecht von Brandenburg«, begann er grußlos, »wünscht, dass am heutigen Tage jedwede Art von Mummenschanz und Gaukelei unterbleibt, damit die Ablassprediger ihr Werk in würdigem Rahmen verrichten. Seine kurfürstliche Gnaden lässt ausrichten, dass Eure Einkünfte davon nicht betroffen sind.«
»So, so – nicht betroffen sind«, äffte Magdalena Kirchner nach, »das wäre ja noch schöner! Aber hat der hochwürdigste Herr Kurfürst, der durchlauchtigste Albrecht von Brandenburg, auch daran gedacht, dass das Volk, das bereits jetzt in aller Herrgottsfrühe herbeiströmt, wegen der Gaukler kommt, vor allem, um den Großen Rudolfo zu sehen? Eine Absage würde die Mainzer aufs Äußerste verärgern. Sie würden Eure Ablassprediger mit faulen Eiern bewerfen, und ich bin sicher, in Euren Kästen würde kein einziger Gulden klingen!«
Magdalenas Worte schienen den kurfürstlichen Sekretär zu beeindrucken. Er dachte nach, und schließlich erwiderte er: »Ihr habt in der Tat nicht ganz unrecht. Wenn es nach mir ginge, würde ich Gaukler und Ablassprediger gemeinsam auftreten lassen. Das könnte für beide von Vorteil sein. Aber Seine kurfürstliche Gnaden hat eben anders entschieden.«
Noch während sie redeten, hörte man nicht weit entfernt die schneidende Stimme eines Bußpredigers. Kirchner hob die Schultern, als wollte er sagen, tut mir leid, ich kann nichts dafür, und verschwand.
In der Abgeschiedenheit des Klosters Seligenpforten hatte Magdalena noch nie einen Bußprediger, vorwiegend Dominikaner, gehört, welche zu Hunderten über das Land zogen und gegen klingende Münze mit kraftvollen Worten Tod und Teufel und ewige Höllenpein an die Wand malten. Von Neugierde geplagt, begab sie sich deshalb zum Liebfrauenplatz, von wo sie die laute Stimme vernommen hatte.
Der Dominikaner, klein und nicht gerade unterernährt, hatte einen fingergroßen, nach vorne gekämmten Haarschopf auf dem sonst kahl geschorenen Schädel und redete, schrie und brüllte mit einer eher schwächlichen Stimme auf eine Handvoll verängstigter Zuhörer ein. Und wenn ihm die Stimme bisweilen versagte, nahm er Hände und Arme zu Hilfe, um sich mit heftigen, zuckenden Bewegungen mitzuteilen. Die Wörter »Teufel« und »Hölle« unterstrich er, indem er seinen Zuhörern die gespreizten zehn Finger an ausgestreckten Armen entgegenhielt, sodass Kinder ihre Gesichter in den Röcken ihrer Mütter vergruben und gestandene Männer die Augen mit den Armbeugen bedeckten.
Er hatte sich gerade warmgeredet, als Magdalena hinzutrat: »O ihr Sünder vor dem Antlitz des Herrn, wie wird euch von Herzen sein, wenn ihr, die ihr die Wollust gepflegt habt, dem höllischen Feuer und seinen Teufeln anheimfallt. Aus der Ferne werdet ihr die Stimme Gottes vernehmen: Gehet hin, ihr Vermaledeiten, in das ewige Feuer, denn ihr seid nicht würdig seines Angesichts. Nur höllischen Gespenstern und entsetzlichen Larvengesichtern sollt ihr begegnen und bösen Geistern, denen ihr gedient habt. Bedenkt, wie euch zumute sein wird, wenn ihr die eiserne Höllenpforte zum ersten Mal sehen werdet, die aus Eisen geschmiedeten Riegel, die sich in Ewigkeit nicht mehr öffnen werden, wenn ihr tagaus, tagein die verzweifelten Schreie der Verdammten hören werdet, das Heulen und Zähneklappern der höllischen Wölfe und Drachen. Wenn euch die heiß brennenden Höllenflammen quälen, gegen die das irdische Feuer ein kühler Tau ist, werdet ihr rufen: Ach, was habenwir verloren! Mit den heiligen Engeln hätten wir gen Himmel fahren können, in die ewige Glückseligkeit. Aber ich sage euch, es ist nicht zu spät. Kauft euch frei mit dem vollkommenen Ablass, den euch der hochwürdigste Herr Fürstbischof Albrecht
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