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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Haar.
    Draußen tobte ein apokalyptisches Unwetter. Bisweilen glaubte Magdalena eine schauerliche Melodie zu vernehmen. Gedankenversunken wie sie war, erschrak sie zu Tode, als plötzlich, wie aus dem Mauerwerk gewachsen, ein schwarz gekleideter Mann vor ihr stand. Seine durchnässte, vornehme Kleidung hing wie Lumpen an ihm herab. Unter dem aufgeweichten Barett war sein Gesicht kaum zu erkennen.
    Mit dem Ellenbogen stieß Magdalena Rudolfo an, der noch immer den Kopf gesenkt hielt. Da erhob der Unbekannte die Stimme. Er musste gegen den Sturm ankämpfen, um sich verständlich zu machen: »Ich bin Primus, habt keine Furcht!«
    Der Seiltänzer schreckte hoch, und Magdalena hielt dem Fremden die Fackel vor das regennasse Gesicht.
    »Ich leiste Abbitte«, begann der mit fester Stimme, »für meine Person, aber auch für die übrigen Unsichtbaren, die Euch unlauterer Machenschaften beschuldigt haben. Tacent libri suo loco. «
    Magdalena sah Rudolfo fragend an. Zwar verstand sie so viel Latein, dass sie die Worte des Fremden übersetzen konnte, doch was er damit sagen wollte, blieb ihr rätselhaft. Der Seiltänzer wich ihrem Blick aus. Als sie sich wieder dem absonderlichen Mann zuwenden wollte, war dieser verschwunden.

12. KAPITEL
    A m Morgen hing das Seil schlaff vom Domturm, und die Fuhrknechte gingen daran, ein neues, trockenes Seil zu spannen. Wie ein Lauffeuer hatte sich über Nacht die Nachricht von der waghalsigen Vorführung des Seiltänzers verbreitet und dass er sein Gaukelspiel an den folgenden zwei Tagen wiederholen wolle.
    Nichtstuer, Taugenichtse und eine Schar Hübschlerinnen, von denen es in Mainz wie in jeder Stadt genügend gab, balgten sich schon kurz nach Sonnenaufgang lautstark um die besten Plätze vor dem Dom. So schnell, wie das Unwetter über die Stadt hereingebrochen war, hatte es sich in die weiten Hügel des Hunsrücks zurückgezogen, die ersehnte Abkühlung zurücklassend.
    Rudolfo und Magdalena hatten die Nacht im Gauklerwagen des Seiltänzers verbracht, eng aneinandergeschmiegt, und doch lag eine merkwürdige Distanz zwischen ihnen. Hatte ihr der Doktor auf dem Frachtkahn schon genug Rätsel aufgegeben, so hatten die Worte des Mannes im Domturm Magdalena die ganze schlaflose Nacht beschäftigt. Auch wenn oder gerade weil er seinen wahren Namen verschwiegen hatte, war sie sich sicher, dass er einer der Neun Unsichtbaren war. Warum er allerdings Rudolfo Abbitte leistete, das blieb Magdalena wie manch anderes verschlossen.
    Während der Seiltänzer noch schlief, öffnete Magdalena die Fensterluke des Gauklerwagens und blinzelte in die aufgehende Sonne. Vom Dom her wehte ein angenehm kühler Luftzug. Kurfürstliche Helfer begannen, über den Platz verteilt, kanzelartigePodeste aufzustellen und Kreuze zu errichten, deren Zweck Magdalena zunächst verborgen blieb. Erst als sich der kurfürstliche Schreiber und Sekretär Joachim Kirchner in Begleitung von vier rot gewandeten Lakaien näherte, die Stapel von Papier herbeischleppten, wurde ihr klar, dass Seine kurfürstliche Gnaden den Seiltänzer und seine Truppe für seine Zwecke missbrauchte.
    Höchst unsanft rüttelte Magdalena Rudolfo wach und forderte ihn auf, einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Der kam missmutig ihrer Aufforderung nach, konnte aber, noch schlaftrunken, die Ursache für Magdalenas Aufregung nicht erkennen und sah sie fragend an.
    »Albrecht von Brandenburg missbraucht uns, um das Volk aus den Häusern zu locken!«, fauchte Magdalena.
    Der Seiltänzer wischte sich den Schlaf aus den Augen: »Und was ist schändlich daran?«
    »Siehst du nicht, was die Lakaien herbeischleppen? Das sind Ablassbriefe, Unmengen von Ablassbriefen, mit denen der Fürstbischof seine Kassen füllen will. Und damit die Mainzer bereitwillig ihre Säckel öffnen, werden ihnen Ablassprediger mit der ewigen Verdammnis und grauenvollen Höllenqualen drohen.«
    Rudolfo schüttelte den Kopf, während er aus dem Fenster blickte: »Keiner zwingt sie dazu, auch Seine kurfürstliche Gnaden Albrecht von Brandenburg nicht. Übrigens – was zahlt uns der feine Herr?«
    »Fünfzig Gulden, im Voraus!«
    Der Seiltänzer schob die Unterlippe nach vorne: »Fünfzig Gulden im Voraus? Dafür mag er uns gerne missbrauchen.«
    »Aber es ist ein Unrecht und der heiligen Mutter Kirche unwürdig!«
    »Das ist keine Frage«, erwiderte Rudolfo. »Beinahe alles, was in diesen Tagen im Namen der heiligen Mutter Kirche geschieht, ist ihrer unwürdig. Auch die Päpste und

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