Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition)
Spur. Aus welchem Grund war er davongelaufen?
Ich begab mich zu der Mauerecke, an der ich Jasmin zurückgelassen hatte, doch auch dort hielt sich niemand mehr auf.
»Jasmin, wo steckst du?«, rief ich ungehalten, erhielt aber keine Antwort. Nun machte ich mir langsam Sorgen. Es war wohl das Beste, zu unserem Wagen zurückzukehren. Vielleicht warteten die beiden ja dort bereits auf mich.
Ich drehte mich um und wollte davontreten, dochplötzlich versperrte mir ein massiger Körper den Weg. Ich musste aufschauen, um diesem Hünen in sein grobschlächtiges Gesicht zu blicken. Er fixierte mich mit einem finsteren Blick, und ich ahnte, warum Reynold und Jasmin verschwunden waren.
Der Riese griff nach mir. Ich versuchte mich zu ducken, doch er packte meine Schultern und stieß mich so fest gegen die Mauer, dass mir schwarz vor Augen wurde und ich die Besinnung verlor.
KAPITEL 4
Ein Schwall kaltes Wasser, der in mein Gesicht geschüttet wurde, löste mich ruckartig aus meiner Benommenheit. Ich schlug die Augen auf, und als sich mein Blick klärte, sah ich vor mir den Hünen, der mich in der Nähe des Wirtschaftshofes gegen die Mauer gestoßen hatte.
Mein Kopf brummte. Als ich mich aufrichten wollte, merkte ich, dass man mir die Hände mit einer Schnur gefesselt hatte, so dass mein Versuch, auf die Beine zu kommen, damit endete, dass ich ungelenk zur Seite kippte und mit der Schulter auf den Boden stürzte.
Den Hünen schien mein Missgeschick zu amüsieren, denn er lachte kehlig. Dann packte er meineSchultern und setzte mich auf. Erst jetzt konnte ich erkennen, dass man mich auf die Diele eines Wohnhauses geschafft hatte. Ich drehte meinen schmerzenden Kopf und entdeckte Jasmin und Reynold, die ebenfalls gefesselt worden waren und neben mir an der Wand hockten. Wir tauschten einen raschen Blick. In ihren Augen spiegelte sich meine Besorgnis.
Ich schaute mich auf der Tenne um. Sie war recht geräumig, und seitlich befanden sich Ställe, in denen ein halbes Dutzend Pferde untergebracht worden war. Im ersten Moment hatte ich vermutet, wir wären im Wirtschaftshof der Barfüßer festgesetzt worden, doch dann wurde mir klar, dass ich mich irrte. Dies war nicht die Diele des Wirtschaftshofes, und auch von den Männern, die mir vor Augen gekommen waren, als ich dort um Almosen gebettelt hatte, hielt sich hier niemand auf. Stattdessen wurden wir von vier recht grimmig dreinschauenden Kerlen bewacht, die allesamt mit Kurzschwertern bewaffnet waren. Der Hüne trug sogar einen Bidenhänder auf seinem Rücken. Hielt man uns für so gefährlich?
Wie viel Zeit wohl vergangen war, seit der Hüne mich überwältigt hatte? Ich fragte mich, ob Mieke noch immer auf dem Wagen hockte und auf unsere Rückkehr wartete.
»Du Teufel!«, erklang plötzlich eine jaulende Stimme am Vordertor. Es wurde aufgestoßen. Einuntersetzter, kahlköpfiger Mann zerrte Mieke auf die Tenne und stieß sie zu Boden. Er hielt sich den Unterarm und verzog wütend das Gesicht.
»Man sollte sie in einen Käfig sperren!«, rief er aus. »Dieses verfluchte Balg ist gefährlicher als ein Wolf. Dreimal hat sie mich gebissen.«
Die anderen Männer lachten. Mieke zeigte die Zähne. Der Kahlköpfige empfand dies wohl als Provokation, denn er machte einen Schritt auf sie zu und hob die Hand, um ihr eine Maulschelle zu verpassen.
»Lass die Finger von ihr!«, schimpfte ich. Die Fesseln an meinen Händen hinderten mich daran, den Kerl von Mieke fernzuhalten.
»Ich werde dich bändigen wie einen lausigen Straßenköter«, drohte ihr der Kahlköpfige, doch bevor er auf Mieke einprügeln konnte, wurde er von einer energischen Stimme zurückgehalten.
»Schluss mit diesem Unfug!«
Ein weiterer Mann trat auf die Tenne. Es handelte sich um einen stattlichen, elegant gekleideten Herrn, der sich sofort Respekt verschaffte, indem er mit einer zackigen Handbewegung für Ruhe sorgte.
Ich schluckte, denn dieser Herr war mir nicht unbekannt, und die Sorgen, die meinen Kopf plagten, seitdem ich hier aufgewacht war, wurden mit seinem Auftauchen nur noch größer.
Der Herr betrachtete Mieke mit düsterer Miene. »Verpasst dem Mädchen einen Knebel, wenn ihr euch fürchtet, von ihr gebissen zu werden, aber fesselt sie endlich und schafft sie zu den anderen.«
Der Kahlköpfige nickte und richtete drohend einen Finger auf Mieke, die laut knurrte und ihm entgegenspuckte. Erst mit der Hilfe des Hünen gelang es ihnen, mein tapferes Mädchen zu ergreifen und ihr die Hände zu binden.
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