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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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bleiben.«
    »Zum täglichen Gebrauch scheint er momentan etwas zu leblos.«
    »Klar.« Vielleicht mit einer geringeren Dosis?
    »Warum tust du das?«
    »Tu ich was?«
    »Deinem Mister Selbstverstümmler helfen und ihn unterstützen. Und auch noch heiraten.«
    Henry ruft mich, ich stehe auf. Gomez greift nach meiner Hand.
    »Clare. Bitte...«
    »Gomez. Lass mich.« Ich starre ihn an. Nach einem langen, schrecklichen Moment senkt er den Blick und lässt mich los. Ich eile durch den Flur in mein Zimmer, ziehe die Tür hinter mir zu.
    Henry liegt diagonal über dem Bett, Gesicht nach unten, ausgestreckt wie eine Katze. Ich streife meine Schuhe ab und lege mich zu ihm.
    »Wie geht’s so?«, frage ich ihn.
    Henry wälzt sich herum und lächelt. »Himmlisch.« Er streichelt mein Gesicht. »Willst du mir Gesellschaft leisten?«
    »Nein.«
    Henry seufzt. »Du bist so gut. Ich sollte nicht versuchen, dich zu verderben.«
    »Ich bin nicht gut. Ich hab Angst.« Eine ganze Weile liegen wir schweigend da. Inzwischen scheint die Sonne und zeigt mir mein Zimmer im Licht des frühen Nachmittags: Das gebogene Bettgestell aus Walnussholz, der goldviolette Orientteppich, die Haarbürste, Lippenstift und Handlotion auf der Kommode. Eine Ausgabe von Art in America mit Leon Golub auf der Titelseite liegt auf dem Polster meines alten Flohmarktsessels, halb verdeckt von Huysmans’ Gegen den Strich. Henry trägt schwarze Socken. Seine langen knochigen Füße hängen über dem Bettrand. Er kommt mir dünn vor. Seine Augen sind geschlossen; vielleicht spürt er, wie ich ihn anstarre, denn jetzt öffnet er sie und lächelt mich an. Die Haare hängen ihm ins Gesicht, ich streiche sie zurück. Henry nimmt meine Hand und küsst sie innen. Ich knöpfe seine Jeans auf, fahre mit der Hand über seinen Schwanz, aber Henry schüttelt den Kopf, nimmt meine Hand und hält sie fest.
    »Tut mir Leid, Clare«, sagt er leise. »In dem Zeug ist etwas, das anscheinend meine Geschlechtsteile kurzgeschlossen hat. Später vielleicht.«
    »Das wird ja eine lustige Hochzeitsnacht.«
    Henry schüttelt den Kopf. »Bei der Hochzeit kann ich das nicht nehmen. Das wäre zu lustig. Im Ernst, Ben ist ein Genie, aber für gewöhnlich arbeitet er mit Leuten zusammen, die unheilbar krank sind. Ganz gleich, was er in diese Pillen gemischt hat, sie wirken fast wie eine Todeserfahrung.« Er seufzt und stellt die Pillenflasche auf den Nachttisch. »Die sollte ich Ingrid schicken. Es wäre ihre ideale Droge.« Ich höre, wie sich die Eingangstür öffnet und dann zuknallt, Gomez geht.
    »Möchtest du etwas essen?«, frage ich.
    »Nein danke.«
    »Wird Ben dir das andere Mittel mixen?«
    »Er will es versuchen.«
    »Und wenn es nicht gut ist?«
    »Du meinst, wenn Ben Mist baut?«
    »Ja.«
    Henry sagt: »Was auch geschieht, wir wissen beide, dass ich mindestens dreiundvierzig werde. Zerbrich dir darüber also nicht den Kopf.«
    Dreiundvierzig? »Was passiert nach dreiundvierzig?«
    »Ich weiß es nicht, Clare. Vielleicht finde ich ja heraus, wie ich in der Gegenwart bleiben kann.« Er nimmt mich in den Arm, und wir liegen ruhig da. Als ich später aufwache, ist es dunkel und Henry schläft neben mir. Die kleine Pillenflasche schimmert rot im Licht der LED-Anzeige des Weckers. Dreiundvierzig?
Montag, 27. September 1993 (Clare ist 22, Henry 30)
     
    Clare: Ich schließe Henrys Wohnungstür auf und schalte das Licht an. Heute Abend wollen wir in die Oper, es gibt Die Geister von Versailles. Zuspätkommende werden in der Lyric Opera nicht mehr eingelassen, daher bin ich nervös und registriere zunächst nicht, dass Henry nicht da sein kann, wenn kein Licht brennt. Und als ich es registriere, ärgere ich mich, weil wir seinetwegen zu spät kommen. Dann frage ich mich, ob er wirklich weg ist. Dann höre ich, wie jemand atmet.
    Ich erstarre. Der Atem kommt aus der Küche. Ich renne in die Küche und schalte das Licht an: Henry liegt bekleidet auf dem Boden, in einer seltsam steifen Haltung, und stiert geradeaus. Er gibt ein leises Geräusch von sich, das alles andere als menschlich klingt, ein Ächzen, das in der Kehle rasselt und durch seine zusammengebissenen Zähne dringt.
    »O Gott, o Gott.« Ich rufe den Notdienst. Die Vermittlung versichert mir, dass sie in ein paar Minuten kommen. Und während ich auf dem Küchenboden sitze und Henry anstarre, steigt Wut in mir hoch, und ich suche sein Rolodex im Schreibtisch und wähle die Nummer.
    »Hallo?« Die Stimme klingt verzagt und weit

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