Die Frau des Zeitreisenden
gemütlich und zufrieden auf einem Baum in Appleton, Wisconsin, im Jahr 1966, esse ein Thunfisch-Sandwich und trage ein weißes T-Shirt zu einer Baumwollhose, die ich jemandem aus seiner herrlich frischen, an der Sonne getrockneten Wäsche gestohlen habe. Irgendwo in Chicago bin ich drei, meine Mutter lebt noch, und dieses verkorkste Chrono-Chaos hat noch nicht begonnen. Ich grüße mein früheres Ich, und der Gedanke an mich als Kind bringt mich unweigerlich auf Clare und unsere Bemühungen, ein Kind zu zeugen. Einerseits bin ich völlig dafür, möchte ich Clare ein Kind schenken und sie reifen sehen, wie eine fleischige Melone, eine prachtvolle Demeter. Ich wünsche mir ein normales Baby, das tut, was normale Babys tun: Nuckeln, greifen, scheißen, schlafen, lachen, herumrollen, sich aufsetzen, gehen und unsinniges Zeug plappern. Ich möchte meinen Vater sehen, wie er unbeholfen sein kleines Enkelkind im Arm wiegt. Ich habe meinem Vater so wenig Freude gemacht - das wäre eine große Wiedergutmachung, ein Lichtblick. Und auch ein Lichtblick für Clare, denn immer, wenn ich ihr entrissen werde, bliebe ein Teil von mir bei ihr.
Aber: aber. Ich weiß, ohne es wissen zu können, dass es sehr unwahrscheinlich ist. Ich weiß, dass ein Kind von mir mit allergrößter Wahrscheinlichkeit dazu prädestiniert wäre, sich spontan in Luft aufzulösen, ein auf magische Weise verschwindendes Kind, wie von Feen davongetragen. Und obgleich ich darum bete, das Wunder der Sexualität möge uns ein Kind bescheren, wenn ich in höchstem Verlangen keuchend und stöhnend über Clare liege, so betet ein Teil von mir ebenso flehentlich, es möge uns erspart bleiben. Ich denke oft an die Geschichte von der Affenpfote und den drei Wünschen, die sich so konsequent und grausam auseinander ergaben. Ich möchte wissen, ob es sich mit unserem Wunsch ähnlich verhält.
Ich bin ein Feigling. Ein besserer Mann würde Clare an den Schultern packen und sagen: Liebling, das alles ist ein Fehler, wir müssen uns damit abfinden, lass uns weitergehen und glücklich sein. Aber ich weiß, Clare könnte sich nicht damit abfinden, sie würde immerzu traurig sein. Daher hoffe ich entgegen jeder Hoffnung, entgegen jeder Vernunft und schlafe mit Clare, als wenn am Ende doch etwas Gutes dabei herauskommen könnte.
EINS
Montag, 3. Juni 1996 (Clare ist 25)
Clare: Als es das erste Mal passiert, ist Henry fort. Ich bin in der achten Schwangerschaftswoche. Mein Baby ist so groß wie eine Pflaume, hat ein Gesicht, Hände, ein schlagendes Herz. Es ist früher Abend, Frühsommer, und im Westen sehe ich dunkelrot- und orangefarbene Wolken, während ich Geschirr abwasche. Henry ist vor fast zwei Stunden verschwunden. Er wollte draußen den Rasen sprengen, und als ich eine halbe Stunde später merkte, dass der Sprinkler immer noch nicht lief, rannte ich zur Hintertür und sah den verräterischen Kleiderhaufen bei der Weinlaube. Ich ging hinaus, hob Henrys Jeans, die Unterwäsche und das zerschlissene Kill-Your-Television-T-Shirt auf, faltete die Sachen zusammen und legte sie aufs Bett. Ich überlegte, ob ich den Sprinkler anstellen sollte, ließ es aber sein, weil ich mir sagte, dass Henry nicht begeistert wäre, wenn er im Garten auftaucht und nass wird.
Ich habe mir Makkaroni mit Käse und einen kleinen Salat dazu gemacht und gegessen, habe meine Vitamine eingenommen und ein großes Glas Magermilch getrunken. Beim Abwaschen summe ich und stelle mir vor, wie das kleine Wesen in meinem Bauch das Summen hört und es auf einer subtilen zellulären Ebene für sein späteres Leben abspeichert. Und wie ich so dastehe und sorgfältig die Salatschüssel abwasche, spüre ich irgendwo tief in meinem Inneren, irgendwo in meinem Becken ein leichtes Stechen. Zehn Minuten später - ich sitze im Wohnzimmer und lese Louis DeBernieres -ist es wieder da, ein kurzes hartes Ziehen an meinen inneren Saiten. Ich ignoriere es. Alles ist gut. Henry ist jetzt schon über zwei Stunden weg. Eine Sekunde lang mache ich mir Sorgen um ihn, schiebe dann auch das energisch von mir. Ernsthafte Sorgen mache ich mir erst ungefähr eine halbe Stunde später, weil das komische kleine Ziehen nun Menstruationskrämpfen gleicht und ich außerdem klebriges Blut zwischen den Beinen spüre, so dass ich aufstehe und ins Badezimmer gehe und meine Unterhose nach unten ziehe und da ist alles voll Blut.
Ich rufe Charisse an. Gomez ist am Apparat. Ich versuche normal zu klingen, frage nach Charisse, die ans
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