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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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Nadel in einen Eimer mit der Aufschrift Biogefahr und schreibt etwas auf das kleine Glasröhrchen mit dem Blut. Dann setzt er sich wieder mir gegenüber und legt die Phiole neben die Zigarettenpackung auf den Tisch.
    »Aber das menschliche Genom wird erst im Jahr 2000 entschlüsselt. Womit wollen Sie es vergleichen?«
    »2000? So bald schon? Sind Sie sicher? Vermutlich schon. Aber um Ihre Frage zu beantworten, eine Krankheit, die so - störend -ist wie Ihre, äußert sich häufig als eine Art Stottern, als eine Wiederholung im Code, die im Wesentlichen besagt Hallo, hier stimmt was nicht. Die Huntington-Krankheit beispielsweise beruht auf der Verlängerung eines CAG-Tripletts im Huntington-Gen auf Chromosom 4.«
    Ich setze mich auf und strecke mich. Ich könnte gut einen Kaffee brauchen. »War das alles? Darf ich jetzt wieder zum Spielen raus?«
    »Also, ich möchte, dass wir Ihren Kopf scannen, aber nicht heute. Ich mache im Krankenhaus einen Termin für Sie. Kernspin, Computertomografie und Röntgenaufnahmen. Außerdem werde ich Sie noch zu einem Freund von mir schicken. Alan Larson. Er hat ein Schlaflabor hier auf dem Campus.«
    »So eine Freude«, sage ich und stehe langsam auf, damit mir das Blut nicht zu schnell in den Kopf schießt. Kendrick neigt den Kopf und blickt zu mir auf. Seine Augen kann ich nicht erkennen, aus diesem Winkel sehen seine Brillengläser aus wie glänzende undurchdringliche Scheiben. »Es ist tatsächlich eine Freude«, bestätigt er.
    »So ein großes Rätsel, und endlich haben wir die Mittel, um herauszufinden...«
    »Um was herauszufinden?«
    »Was immer es ist. Was immer Sie sind.« Kendrick lächelt, und mir fällt auf, wie vergilbt und unregelmäßig seine Zähne sind. Er steht auf, streckt mir die Hand entgegen und ich schüttle sie, danke ihm. Eine verlegene Pause tritt ein: Nach den Vertraulichkeiten des Nachmittags sind wir wieder Fremde. Ich verlasse die Praxis, gehe die Treppe hinunter und hinaus auf die Straße, wo die Sonne auf mich gewartet hat. Was immer ich bin. Was bin ich? Was bin ich?.

EIN SEHR KLEINER SCHUH
Frühling 1996 (Clare ist 24, Henry 32)
     
    Clare: Als Henry und ich ungefähr zwei Jahre verheiratet waren, wollten wir ausprobieren, ohne viel darüber zu reden, ob wir ein Kind bekommen können. Ich wusste, dass Henry unsere Chancen nicht sehr optimistisch einschätzte, und fragte weder ihn noch mich nach den Gründen, weil ich befürchtete, dass er uns in der Zukunft kinderlos gesehen hatte, und davon wollte ich einfach nichts wissen. Ich wollte auch nicht darüber nachdenken, ob Henrys Schwierigkeiten mit dem Zeitreisen erblich sein und unseren Kinderwunsch durchkreuzen könnten. Ich dachte also über viele wichtige Dinge einfach nicht nach, weil ich von der Vorstellung, ein Kind zu haben, völlig berauscht war: Ein Baby, das ein bisschen wie Henry aussehen würde, schwarze Haare, leuchtende Augen, dazu vielleicht meine Blässe und eine Haut, die nach Milch und Puder duftet, eine Art Wonneproppen, der über alles gluckst und lacht, ein süßes Kind, ein kleines gurrendes Baby. Ich träumte von Babys. In meinen Träumen kletterte ich immer wieder auf einen Baum und fand einen winzigen Schuh im Nest. Plötzlich merkte ich, dass die Katze, das Buch, das Sandwich oder was ich auch gerade in der Hand hielt, in Wirklichkeit ein Baby war; ich schwamm in einem See und entdeckte eine Baby-Kolonie auf dem Grund.
    Mit einem Mal sah ich überall nur noch Babys: Ein niesendes rothaariges Mädchen mit einem Sonnenhut im Supermarkt; einen kleinen chinesischen Jungen mit großen Augen, Sohn der Besitzer im Goldenen Wok (der Heimat von himmlischen vegetarischen Frühlingsrollen); ein schlafendes, fast kahlköpfiges Kind in einem Batman- Film. In einer Umkleidekabine bei JCPenney ließ mich eine äußerst vertrauensselige Frau ihr drei Monate altes Töchterchen halten. Ich musste mich zusammenreißen, damit ich auf dem rosabeigen Stuhl sitzen blieb und nicht aufsprang und wie von Sinnen davonlief, das winzige weiche Wesen an meine Brust gedrückt.
    Mein Körper wollte ein Kind. Ich fühlte mich leer, ich wollte ausgefüllt sein. Ich wollte jemanden lieben, der bei mir blieb - der immer blieb und da war. Und ich wollte, dass Henry in diesem Kind war, damit er, wenn er verschwand, nicht vollständig verschwunden war, damit ein Teil von ihm bei mir wäre... Versicherung gegen Feuer, Flut und höhere Gewalt.
Sonntag, 2. Oktober 1996 (Henry ist 33)
     
    Henry: Ich sitze sehr

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