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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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die Leute um sie herum alle jubeln. Plötzlich springt Ingrid auf, zieht Pfeil und Bogen hinter der Couch hervor und schießt auf Clare. Der Pfeil trifft direkt in den Fernseher, und Clare schlägt die Hände auf die Brust wie Wendy in einer Stummfilmversion von Peter Pan, und ich springe auf, ich würge Ingrid, meine Hände sind um ihren Hals, ich brülle sie an...
    Dann wache ich auf. Ich spüre kalten Schweiß, mein Herz hämmert. Ich bin im Schlaflabor. Einen Moment lang frage ich mich, ob sie mir vielleicht etwas verschweigen, ob sie meine Träume irgendwie beobachten, meine Gedanken sehen können. Ich drehe mich auf die Seite, schließe die Augen.
    Ich träume, dass Clare und ich durch ein Museum wandern. Das Museum ist ein alter Palast, die Gemälde hängen in goldenen Rokokorahmen, und die anderen Besucher tragen alle hohe gepuderte Perücken und bauschige Kleider, Gehröcke und Kniehosen. Sie scheinen uns nicht wahrzunehmen. Wir sehen uns die Gemälde an, aber es sind keine richtigen Gemälde, sondern Gedichte - Gedichte, irgendwie umgesetzt in reale Erscheinung. »Sieh nur«, sage ich zu Clare, »da ist ein Emily Dickinson.« Das Herz sucht Lust - zuerst / Und dann - Erlass von Leid. Sie steht vor dem hellgelben Gedicht und scheint sich daran zu wärmen. Wir sehen Dante, Donne, Blake, Neruda und Bishop, verweilen in einem Saal voll Rilkes, durchqueren schnell den Saal mit den Beatniks und stehen vor Verlaine und Baudelaire. Auf einmal merke ich, dass ich Clare verloren habe, ich gehe, renne zurück durch die Galerien und finde sie wieder: Sie steht vor einem Gedicht, einem winzigen weißen Gedicht, das versteckt in einer Ecke hängt. Sie weint. Als ich hinter ihr stehen bleibe, erkenne ich die Zeilen: Müde hin ich, geh zur Ruh, schließe beide Äuglein zu. Vater, lass die Augen dein über meinem Bette sein.
    Ich strample im Gras, es ist kalt, Wind fegt über mich hinweg, ich bin nackt und friere in der Dunkelheit, auf der Erde liegt Schnee, ich bin auf Knien im Schnee, Blut tropft auf den Schnee und ich strecke die Hand aus...
    »Mein Gott, er blutet...«
    »Um Himmels willen, wie ist das passiert?«
    »Mist, er hat sich alle Elektroden abgerissen, hilf mir, ihn wieder aufs Bett zu heben...«
    Ich öffne die Augen. Kendrick und Dr. Larson kauern über mir. Dr. Larson sieht verwirrt und besorgt aus, Kendrick aber lächelt triumphierend.
    »Haben Sie es mitbekommen?«, frage ich, und er antwortet: »Es war perfekt.«
    »Großartig«, sage ich, dann werde ich ohnmächtig.

ZWEI
Sonntag, 12. Oktober 199/ (Henry ist 34, Clare 26)
     
    Henry: Ich wache auf und rieche Eisen, aber es ist Blut. Überall ist Blut, und mittendrin liegt Clare eingerollt wie eine kleine Katze.
    Ich schüttle sie, und sie sagt: »Nein.«
    »KommschonClarewachaufdublutest.«
    »Ich habe geträumt...«
    »Clare, bitte...«
    Sie setzt sich auf. Ihre Hände, ihr Gesicht, ihr Haar sind blutgetränkt. Clare streckt ihre Hand aus, auf der ein winziges Monster liegt. »Es ist gestorben«, sagt sie nur und bricht in Tränen aus. Wir sitzen zusammen auf dem blutbesudelten Bettrand, halten uns in den Armen und weinen.
Montag, 16. Februar 1998 (Clare ist 26, Henry 34)
     
    Clare: Henry und ich wollen gerade nach draußen gehen. Es schneit schon den ganzen Nachmittag, und ich ziehe meine Stiefel an, als das Telefon läutet. Henry geht durch den Flur ins Wohnzimmer und hebt ab. »Hallo!«, höre ich ihn sagen, und dann »Tatsächlich?« und dann »Ist ja toll!« Dann sagt er: »Moment, ich hol mir was zu schreiben...«, und es folgt ein langes Schweigen, hin und wieder unterbrochen von einem »Moment, das müssen Sie mir erklären«. Schließlich ziehe ich Stiefel und Mantel aus, tappe auf Strümpfen ins Wohnzimmer. Henry sitzt auf dem Sofa, das Telefon wie ein Haustier auf den Oberschenkeln, und macht sich wie wild Notizen. Ich setze mich neben ihn, er grinst mich an. Ich blicke auf den Block, oben auf der Seite steht: 4 Gene: per4, zeitlosi, Clock, neues Gen: Zeitreisender?? Chrom = 17 x 2, 4, 25, 200+ Wiederholungen TAG, geschlechtsspezifisch? nein, + zu viele Dopamin-Rezpt, welche Proteine???... und mir wird klar: Kendrick hat es geschafft! Er hat die Nuss geknackt! Ich kann es nicht fassen. Er hat es geschafft. Was nun?
    Henry legt den Hörer auf, dreht sich zu mir. Er sieht so überwältigt aus, wie ich mich fühle.
    »Was geschieht als Nächstes?«, frage ich.
    »Er will die Gene klonen und sie Mäusen einpflanzen.«
    »Was?«
    »Er will

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