Die Frau des Zeitreisenden
beschützt.
Ich bin es leid zu weinen. Ich bin es leid, Clare weinen zu sehen. Ihre Tränen machen mich hilflos, ich kann nichts tun, das etwas ändern würde.
»Clare...«Ich will sie berühren, will sie trösten, will mich trösten, aber sie stößt mich weg. Ich steige aus dem Bett und schnappe mir meine Sachen. Im Badezimmer ziehe ich mich an. Dann nehme ich Clares Schlüssel aus ihrer Handtasche und ziehe mir Schuhe an. Clare erscheint im Flur.
»Wo willst du hin?«
»Ich weiß nicht.«
»Henry...«
Ich gehe zur Tür hinaus und knalle sie hinter mir zu. Es tut gut, an der Luft zu sein. Ich weiß nicht mehr, wo unser Auto steht. Dann entdecke ich es auf der anderen Straßenseite. Ich laufe hinüber und steige ein.
Ursprünglich wollte ich nur im Auto schlafen, aber kaum sitze ich drin, kommt mir der Gedanke, irgendwohin zu fahren. Der Strand: Ich werde an den Strand fahren. Ich weiß, das ist keine gute Idee. Ich bin müde, ich bin verärgert, es wäre Irrsinn, jetzt zu fahren ... aber ich habe einfach Lust dazu. Die Straßen sind leer. Ich starte das Auto, es erwacht lärmend zum Leben. Es dauert eine Weile, bis ich aus der Parklücke herauskomme. Im vorderen Fenster taucht Clares Gesicht auf. Soll sie sich ruhig Sorgen machen. Ausnahmsweise ist es mir egal.
Ich fahre die Ainslie zur Lincoln Avenue, biege auf die Western ab und fahre Richtung Norden. Es ist einige Zeit her, seit ich allein mitten in der Nacht, zumal in der Gegenwart, unterwegs war, und ich kann mich nicht einmal mehr daran erinnern, wann ich zum letzten Mal ohne zwingenden Grund Auto gefahren bin. Aber es ist schön. Ich rausche am Rosehill Friedhof vorbei und durch den langen Korridor von Autohandlungen. Ich schalte das Radio ein, drücke die einprogrammierten Sender bis zu WLUW, wo Coltrane läuft, so dass ich lauter stelle und das Fenster herunterkurble. Der Lärm, der Wind, die tröstliche Abfolge von Ampeln und Straßenlampen machen mich ruhig, narkotisieren mich, und nach einiger Zeit vergesse ich, warum ich überhaupt hier draußen bin. An der Grenze nach Evanston biege ich auf die Ridge Avenue und nehme dann die Dempster zum See. In der Nähe der Lagune parke ich, lasse den Schlüssel im Zündschloss stecken, steige aus und gehe zu Fuß weiter. Es ist kühl und sehr ruhig. Ich laufe über den Pier, bleibe ganz am Ende stehen, blicke an der Uferlinie entlang nach Chicago, das unter seinem orangen und purpurroten Himmel gleißt.
Ich bin das alles so leid. Ich will nicht mehr über den Tod nachdenken. Ich will keinen Sex mehr als Mittel zum Zweck. Und ich habe Angst davor, wo das alles noch endet. Ich weiß nicht, wie viel Druck von Clares Seite ich noch ertragen kann.
Was bedeuten diese Fötusse, diese Embryonen, diese Zellklumpen, die wir ständig produzieren und verlieren? Sind sie wirklich wichtig genug, um Clares Leben zu riskieren, um jeden Tag mit Verzweiflung zu trüben? Die Natur will, dass wir aufgeben, die Natur sagt: Henry, du bist ein verkorkster Organismus, wir wollen nicht noch mehr von deiner Sorte. Und ich bin bereit, mich zu fügen.
Ich habe mich in der Zukunft nie mit einem Kind gesehen. Und auch wenn ich ziemlich viel Zeit mit meinem jüngeren Ich verbrachte, auch wenn ich viel Zeit mit Clare als Kind verbringe, habe ich nicht das Gefühl, dass meinem Leben ohne eigenen Nachwuchs von mir etwas fehlen würde. Keines meiner künftigen Ichs hat mich je dazu ermuntert, mich ständig mit diesem Thema herumzuschlagen.
Vor einigen Wochen bin ich sogar schwach geworden und habe gefragt; im Magazin der Newberry lief ich meinem Ich über den Weg, einem Ich aus 2004. Werden wir jemals ein Kind haben?, wollte ich wissen. Mein Ich lächelte nur und zuckte die Achseln. Das musst du schon selbst erleben, tut mir Leid, erwiderte er, selbstgefällig und mitfühlend. Oh, mein Gott, bitte sag’s mir, rief ich mit erhobener Stimme, aber er hob nur die Hand und verschwand. Arschloch, sagte ich laut, und Isabelle streckte den Kopf zur Sicherheitstür herein und fragte mich, warum ich im Magazin so brülle und ob mir eigentlich klar sei, dass man mich im Lesesaal hören kann?
Ich sehe einfach keinen Ausweg aus dieser Situation. Clare ist wie besessen. Amit Montague macht ihr Mut, erzählt ihr Geschichten von Wunderkindern, gibt ihr Vitamindrinks, die mich an Rosemaries Baby erinnern. Vielleicht sollte ich streiken. Genau, das ist die Lösung: ein Sex-Streik. Ich muss lachen. Das Geräusch wird von den Wellen geschluckt, die leise
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