Die Frau des Zeitreisenden
zusammengekauert im Bett liegt. Sie regt sich nicht, ihre Arme hängen an der Seite, die schwarzen Zöpfe baumeln den Rücken herunter, ihr blauer Rolli sitzt vom Anziehen noch ganz schief. Morgenlicht durchflutet den Raum, taucht alles in Gelb.
»Daddy?«, sagt Alba leise. Henry reagiert nicht. Sie probiert es noch einmal, diesmal lauter. Henry dreht sich zu ihr um. Alba setzt sich aufs Bett. Henrys Augen sind geschlossen.
»Daddy?«
»Hmm?«
»Musst du sterben?«
Henry öffnet die Augen und sieht Alba ruhig an. »Nein.«
»Alba hat gesagt, du stirbst.«
»Aber erst in der Zukunft, Alba. Jetzt noch nicht. Sag Alba, sie soll dir nicht solche Sachen erzählen.« Henry fährt sich mit der Hand über den Bart, der ihm seit der Entlassung aus dem Krankenhaus gewachsen ist. Alba sitzt mit gefalteten Händen im Schoß und aneinander gepressten Knien da.
»Bleibst du jetzt immer im Bett liegen?«
Henry zieht sich hoch, bis er am Kopfteil lehnt. »Vielleicht.« Er wühlt in der Nachttischschublade, aber die Schmerzmittel sind im Badezimmer.
»Warum?«
»Weil es mir beschissen geht, verstanden ?«
Alba schreckt vor Henry zurück, steht vom Bett auf. »Verstanden!«, sagt sie, öffnet die Tür und stößt fast mit mir zusammen, sie ist verschüchtert, und dann schlingt sie stumm die Arme um meine Taille, und ich hebe sie hoch, inzwischen ist sie ziemlich schwer geworden. Ich trage sie in ihr Zimmer, wo wir uns in den Schaukelstuhl setzen und gemeinsam schaukeln, ihr heißes Gesicht ist an meinen Hals geschmiegt. Wie soll ich dich trösten, Alba? Was soll ich dir sagen?
Mittwoch und Donnerstag, 18. und 19. und Donnerstag,
26. Oktober 2006 (Clare ist35, Henry 43)
Clare: Ich stehe in meinem Atelier vor einer Rolle Verstärkungsdraht und einigen Zeichnungen. Der große Arbeitstisch ist aufgeräumt, die Zeichnungen sind ordentlich an die Wand gepinnt. Nun versuche ich dem Werk vor meinem geistigen Auge Form zu geben, es mir in 3-D vorzustellen. Lebensgroß. Ich schneide ein Stück Draht ab, es federt von der riesigen Rolle, und forme nach und nach den Körper. Ich biege den Draht zu Schultern, Brustkasten und einem Becken. Dann überlege ich. Vielleicht sollten die Arme und Beine beweglich sein? Brauche ich Füße oder nicht? Ich fange an, den Kopf zu formen, und merke mit einem Mal, dass ich nichts davon will. Ich schiebe alles unter den Tisch und fange noch einmal mit etwas mehr Draht an.
Wie ein Engel. Jeder Engel ist schrecklich. Und dennoch, weh mir, ansing ich euch, fast tödliche Vögel der Seele... Nur Flügel möchte ich ihm geben. Mit dem dünnen Metall fahre ich durch die Luft, ziehe Schlaufen und Kreise. Die Flügelspanne messe ich mit den Armen ab, dann wiederhole ich den Prozess spiegelverkehrt für den zweiten Flügel und vergleiche die Symmetrie wie wenn ich Alba die Haare schneide, nehme mit dem Auge Maß, ertaste das Gewicht, die Formen. Ich verbinde die Flügel miteinander und steige dann auf die Leiter, um sie an der Decke aufzuhängen. Nun schweben sie, von Linien eingefasste Luft, auf einer Höhe mit meiner Brust, zweieinhalb Meter im Durchmesser, anmutig, dekorativ, nutzlos.
Anfangs hatte ich sie mir weiß vorgestellt, aber jetzt wird mir klar, das geht nicht. Ich öffne die Vitrine mit den Pigmenten und Farbstoffen. Ultramarin, Ockergelb, Umbra, Chromgrün, Krapprosa. Nein. Das ist es: Eisenoxidrot. Die Farbe von getrocknetem Blut. Ein schrecklicher Engel wäre nicht weiß, oder er wäre weißer als jedes Weiß, das ich mischen kann. Ich stelle das Glas zusammen mit Beinschwarz auf die Theke, dann gehe ich zu den Faserbündeln, die wohlriechend in der hinteren Ecke des Ateliers stehen. Kozo und Leinen; Transparenz und Geschmeidigkeit, eine Faser, die raschelt wie schnatternde Zähne, verbunden mit einem Stoff, der weich ist wie Lippen. Ich wiege zwei Pfund Kozo ab, getrocknete und unverwüstliche Rinde, die gekocht und geschlagen, zerfetzt und gestampft werden muss. Dann erhitze ich Wasser in dem großen Topf, der zwei Platten auf dem Ofen einnimmt. Als es kocht, werfe ich Kozo-Fasern hinein, sehe zu, wie sie dunkel werden und langsam Wasser aufsaugen. Ich messe Pottasche ab, gebe sie dazu, decke den Topf ab und stelle die Dunstabzugshaube ein. Ich hacke ein Pfund weiße Lumpen in kleine Stücke, fülle den Holländer mit Wasser und lasse ihn den Hadern in feine weiße Pulpe reißen. Dann mache ich mir einen Kaffee, setze mich ans Fenster und schaue über den Hof hinüber zum Haus.
Im
Weitere Kostenlose Bücher