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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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Wir eilen weiter, und plötzlich stehe ich in der Kulisse, blicke auf die Bühne und erkenne, dass es den Nussknacker gibt und ich die Zuckerfee tanze. Aus irgendeinem Grund nervt mich das. Ich hatte etwas anderes erwartet. Aber jemand gibt mir einen leichten Stoß, und schon wanke ich auf die Bühne. Und tanze. Die Lichter blenden mich, ich tanze ohne zu denken, ohne die Schritte zu kennen, in einer Ekstase von Schmerz. Schließlich falle ich schluchzend auf die Knie, und das Publikum steht auf und applaudiert.
Freitag, 3. November 2006 (Clare ist 35, Henry 43)
     
    Clare: Henry hält eine Zwiebel hoch, schaut mich ernst an und sagt: » Das ... ist eine Zwiebel.«
    Ich nicke. »Ja. Über die hab ich schon mal was gelesen.«
    Er zieht eine Braue hoch. »Sehr gut. Also, um eine Zwiebel zu schälen, nimmst du ein scharfes Messer, legst besagte Zwiebel seitlich auf ein Schneidebrett und entfernst die beiden Enden - so. Dann kannst du die Zwiebel schälen - so. Gut. Nun schneidest du sie durch. Willst du Zwiebelringe haben, ziehst du nur jede Scheibe auseinander, aber für Suppe, Spaghetti und dergleichen schneidest du sie in Würfel - so.«
    Henry hat beschlossen, mir das Kochen beizubringen. Die Küchentheken und -schränke sind alle zu hoch für ihn in seinem Rollstuhl. Wir sitzen am Küchentisch, umgeben von Schalen und Messern und Dosen mit Tomatensauce. Henry schiebt mir Schneidebrett und Messer über den Tisch hinweg zu, und ich stehe auf und schneide die Zwiebel umständlich in Würfel. Henry sieht geduldig zu. »Gut, sehr schön. Jetzt die grünen Paprikaschoten: Du fährst mit dem Messer hier herum, dann ziehst du den Stiel heraus...«
    Wir machen Marinarasauce, Pesto, Lasagne. An einem anderen Tag zaubern wir Kekse mit Schokosplittern, Brownies, Crème brulee. Alba ist begeistert. »Noch einmal Nachspeise«, bettelt sie. Wir pochieren Eier und Lachs, backen Pizza. Irgendwie macht es Spaß, das muss ich zugeben. Aber als ich mein erstes Abendessen allein koche, habe ich schreckliche Angst. Ich stehe in der Küche, umgeben von Töpfen und Pfannen, der Spargel ist zu weich, und als ich den Seeteufel aus dem Herd nehme, verbrenne ich mich. Ich verteile alles auf Teller und bringe sie ins Esszimmer, in dem Henry und Alba auf ihren Plätzen sitzen. Henry lächelt aufmunternd. Ich setze mich, und Henry hebt sein Milchglas: »Auf die neue Köchin!« Alba stößt ihren Becher an sein Glas, und wir fangen an. Verstohlen beobachte ich Henry. Doch beim Essen merke ich, dass alles in Ordnung ist. »Schmeckt gut, Mama!«, sagt Alba, und Henry nickt. »Hervorragend, Clare«, sagt Henry. Wir sehen uns an, und ich denke, Verlass mich nicht.

WIE MAN SÄT, SO ERNTET MAN
Montag, 18. Dezember 2006,2. Januar 1994 (Henry ist 43)
     
    Henry: Mitten in der Nacht wache ich auf, an meinen Beinen nagen tausend rasiermesserbezahnte Insekten, und noch ehe ich eine Vicodin aus dem Fläschchen schütteln kann, beginne ich zu fallen. Schmerzverkrümmt liege ich auf dem Boden, doch es ist nicht unser Boden, es ist ein anderer, in einer anderen Nacht. Wo bin ich? Der Schmerz verleiht allem einen Schimmer, aber es ist dunkel und irgendwas an diesem Geruch erinnert mich an - woran nur? Bleichmittel. Schweiß. Parfüm, sehr vertraut... aber das kann doch nicht sein...
    Schritte kommen die Treppe herauf, Stimmen, ein Schlüssel sperrt mehrere Schlösser auf (wo kann ich mich verstecken?), die Tür öffnet sich, und ich krieche gerade über den Boden, da leuchtet das Licht auf und explodiert in meinem Kopf wie eine Blitzbirne, und eine Frau flüstert: »O Gott.« Ich denke mir Nein, das darf einfach nicht wahr sein, aber die Tür schließt sich, und ich höre Ingrid sagen: »Celia, du musst wieder gehen«, worauf Celia protestiert, und während sich die beiden auf der anderen Seite der Tür darüber streiten, sehe ich mich verzweifelt um, aber es gibt keinen Ausweg. Offenbar bin ich in Ingrids Wohnung gelandet, in der Clark Street, wo ich noch nie gewesen bin, aber hier sind ihre Sachen und überwältigen mich, der Stuhl von Charles Eames, der nierenförmige, mit Modezeitschriften übersäte Beistelltisch aus Marmor, das hässliche orangefarbene Sofa, auf dem wir... Panisch sehe ich mich nach etwas zum Anziehen um, aber das einzige Stück Stoff in dieser minimal eingerichteten Wohnung ist eine purpurrot-gelbe Wolldecke, die sich mit dem Sofa beißt. Ich schnappe sie mir, schlinge sie um mich und hieve mich aufs Sofa, als Ingrid die Tür wieder

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