Die Frau des Zeitreisenden
mir reden. Woher hätte ich es denn wissen sollen?«
»Du hast geheiratet und mich nicht angerufen, aber Celia hast du zu deiner Hochzeit eingeladen, um mich zu ärgern.«
Ich muss lachen, ohne es zu wollen. »Ingrid, Clare hat Celia eingeladen. Die beiden sind befreundet, warum, habe ich nie herausgefunden. Ich nehme an, weil Gegensätze sich anziehen. Mit mir hatte es jedenfalls nichts zu tun.«
Ingrid wirkt bleich unter ihrem Make-up. Sie sagt nichts, greift in ihre Manteltasche und holt eine Schachtel English Ovals und ein Feuerzeug hervor.
»Seit wann rauchst du?«, frage ich sie. Ingrid konnte Rauchen nie ausstehen. Sie mochte Koks und Methedrin und Drinks mit poetischen Namen. Zwischen zwei langen Fingernägeln entnimmt sie der Packung eine Zigarette und zündet sie an. Ihre Hände zittern. Sie nimmt einen Zug, aus ihrem Mund schlängelt sich Rauch.
»Und wie lebt es sich so ohne Füße?«, fragt Ingrid. »Wie ist das überhaupt passiert?«
»Erfrierung. Ich bin im Grant Park ohnmächtig geworden, es war Januar.«
»Und wie bewegst du dich fort?«
»Vor allem im Rollstuhl.«
»Oh. Das nervt.«
»Ja. Und wie.« Einen Augenblick sitzen wir schweigend da.
»Bist du noch verheiratet?«, fragt Ingrid.
»Klar.«
»Kinder?«
»Eins. Ein Mädchen.«
»Aha.« Ingrid lehnt sich zurück, zieht an ihrer Zigarette, bläst einen dünnen Rauchfaden aus der Nase. »Ich hätte auch gern Kinder.«
»Du wolltest nie Kinder, Ing.«
Sie sieht mich an, aber ich kann ihren Blick nicht deuten. »Ich wollte immer welche. Ich dachte nur, du willst keine Kinder, darum hab ich es nie gesagt.«
»Du kannst immer noch welche haben.«
Ingrid lacht. »Ach ja? Bekomme ich Kinder, Henry? Hab ich im Jahr 2006 einen Mann und ein Haus im spießigen Winnetka und zweieinhalb Kinder?«
»Nicht ganz.« Ich verändere meine Position auf dem Sofa. Der Schmerz ist gewichen, aber geblieben ist seine Hülle, ein leerer Raum, wo er sitzen müsste, im Moment ist da nur die Erwartung von Schmerz.
»Nicht ganz«, äfft Ingrid mich nach. »Wie nicht ganz? So wie in, >Nicht ganz, Ingrid, in Wirklichkeit bist du eine Stadtstreicherin?<«
»Du bist keine Stadtstreicherin.«
»Ich bin also keine Stadtstreicherin. Gut, hervorragend.« Sie drückt ihre Zigarette aus und schlägt die Beine übereinander. Ingrids Beine fand ich immer phantastisch. Sie trägt Stiefel mit hohen Absätzen, offenbar waren sie und Celia auf einer Party. »Damit hätten wir die beiden Extreme ausgeschlossen: Ich bin keine Vorstadtmatrone und ich bin nicht obdachlos. Komm schon Henry, gib mir ein paar mehr Hinweise.«
Ich sage nichts, auf dieses Spiel habe ich keine Lust.
»Na schön, machen wir Multiple Choice. Mal sehen... a) Ich bin Stripperin in einem echt schäbigen Club in der Rush Street, b) Ich sitze im Knast, weil ich Celia mit der Axt erschlagen und an Malcolm verfuttert habe. He. Klar, ja, c) Ich lebe mit einem Investmentbanker am Rio del Sol. Was meinst du Henry? Findest du eine Möglichkeit davon gut?«
»Wer ist Malcolm?«
»Celias Doberman.«
»Hätte ich mir denken können.«
Ingrid spielt mit ihrem Feuerzeug, klickt es an und aus. »Wie wär’s mit d) Ich bin tot?« Ich zucke zusammen. »Würde dir das nicht gefallen?«
»Nein. Würde es nicht.«
»Wirklich nicht? Mir gefällt das am besten.« Ingrid lächelt. Kein schönes Lächeln, es gleicht eher einer Grimasse. »Das gefällt mir sogar so gut, dass es mich auf eine Idee bringt.« Sie steht auf, schreitet durch den Raum und den Flur entlang. Ich höre, wie sie eine Schublade öffnet und schließt. Bei ihrer Rückkehr hält sie eine Hand hinter den Rücken. Sie baut sich vor mir auf, sagt »Überraschung!« und richtet einen Revolver auf mich.
Es ist ein kleineres Exemplar - schlank, schwarz, glänzend. Ingrid hält ihn dicht an ihrer Taille, ganz lässig, als wäre sie auf einer Cocktailparty. Ich starre auf den Revolver. Ingrid sagt: »Ich könnte dich erschießen.«
»Ja. Könntest du.«
»Und dann könnte ich mich erschießen.«
»Auch das könnte passieren.«
»Aber tut es das ?«
»Ich weiß es nicht, Ingrid. Die Entscheidung liegt bei dir.«
»Quatsch nicht, Henry. Sag’s mir«, befiehlt sie.
»Na schön. Nein. So passiert es nicht.« Ich bemühe mich um einen zuversichtlichen Tonfall.
Ingrid lächelt süffisant. »Und wenn ich aber will, dass es so passiert?«
»Ingrid, gib mir den Revolver.«
»Komm her und hol ihn dir.«
»Willst du mich erschießen?« Ingrid
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