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Die Frau des Zeitreisenden

Die Frau des Zeitreisenden

Titel: Die Frau des Zeitreisenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audrey Niffenegger
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Seine Stimme klingt ruhig und zwingend. Ich sperre die Tür ab.
    »Du weißt, ich hab mich eben angezogen...«
    »Seht.« Er streckt die Arme nach mir aus, und ich gebe nach, setze mich neben ihn, und plötzlich schießt mir ungebeten eine Wendung durch den Kopf: das letzte Mal.
(20.05 Uhr)
     
    Henry: Als es an der Tür klingelt, binde ich mir gerade die Krawatte. Clare fragt nervös: »Seh ich gut aus?« Das tut sie, rosig und hübsch sieht sie aus, und ich sage es ihr. Wir treten aus dem Schlafzimmer, und Alba rennt zur Tür und schreit: »Grandpa! Grandpa! Kimy!« Mein Vater, der sich den Schnee von den Stiefeln stampft, beugt sich hinunter und umarmt sie. Clare küsst Dad auf beide Wangen, und er belohnt sie dafür mit seinem Mantel. Alba nimmt Kimy in Beschlag und zeigt ihr den Weihnachtsbaum, bevor die Ärmste überhaupt den Mantel ablegen kann.
    »Hallo, Henry«, sagt Dad und lächelt, beugt sich zu mir, und auf einmal wird mir klar: Heute Abend wird mein Leben vor meinen Augen aufblitzen. Wir haben alle eingeladen, die uns etwas bedeuten: Dad, Kimy, Alicia, Gomez, Charisse, Philip, Mark und Sharon mit ihren Kindern, Gram, Ben, Helen, Ruth, Kendrick und Nancy mit Nachwuchs, Roberto, Catherine, Isabelle, Matt, Amelia, Künstlerfreunde von Clare, Freunde aus meiner Bibliothekarsstudienzeit, Eltern von Albas Freundinnen, Clares Kunstagentin, und auf Clares Drängen sogar Celia Attley... Die Einzigen, die fehlen, sind aus triftigen Gründen verhindert: Meine Mutter, Lucille, Ingrid... O Gott. Hilf mir.
(20.20 Uhr)
     
    Clare: Gomez und Charisse kommen unbekümmert hereingeschneit wie Kamikazeflieger. »Hey, Bücherknecht, faules Ei, schippst du nie den Schnee vom Gehweg?«
    Henry schlägt sich an die Stirn. »Ich wusste, ich hab was vergessen.« Gomez legt eine Einkaufstüte voller CDs in Henrys Schoß und geht zum Schnee schippen nach draußen. Charisse lacht und folgt mir in die Küche, wo sie eine riesige Flasche Wodka auspackt und ins Kühlfach steckt. Wir können hören, wie Gomez, der sich mit der Schaufel an der Hauswand entlangarbeitet, »Let It Snow« singt.
    »Wo sind die Kinder?«, frage ich Charisse.
    »Wir haben sie bei meiner Mutter gelassen. Schließlich ist Silvester, und wir dachten, bei Grandma haben sie mehr Spaß. Außerdem wollten wir unseren Kater in Ruhe ausschlafen, verstehst du?« Darüber habe ich eigentlich nie nachgedacht, denn seit ich mit Alba schwanger war, war ich nicht mehr betrunken. Alba kommt in die Küche gerannt, und Charisse umarmt sie stürmisch. »Hey, kleines Mädchen! Wir haben dir ein Weihnachtsgeschenk mitgebracht!«
    Alba sieht mich an. »Na los, mach auf.« Es ist ein kleines Maniküreset, komplett mit Nagellack. Alba sperrt vor Staunen den Mund auf. Ich stupse sie an, da fällt es ihr ein.
    »Vielen Dank, Tante Charisse.«
    »Gern geschehen, Alba.«
    »Zeig es Daddy«, sage ich, und sie rennt in Richtung Wohnzimmer davon. Als ich den Kopf in den Flur strecke, sehe ich, wie Alba aufgeregt vor Henry herumhantiert, der ihr seine Finger hinhält, als ziehe er eine Fingernagelektomie in Erwägung. »Volltreffer«, sage ich zu Charisse.
    Sie lächelt. »Davon war ich völlig besessen, als ich klein war. Ich wollte später Kosmetikerin werden.«
    »Und weil du das nicht gepackt hast, bist du Künstlerin geworden.«
    »Ich habe Gomez kennen gelernt und eingesehen, dass es noch keinem gelungen ist, das spießige, kapitalistische, frauenfeindliche Wirtschaftssystem zu Fall zu bringen, indem er seine Betreiber pedikürt.«
    »Allerdings haben wir sie auch nicht in die Knie gezwungen, indem wir ihnen Kunst verkauft haben.«
    »Du sprichst wohl für dich, Süße. Du bist einfach süchtig nach Schönheit, mehr nicht.«
    »Ich bekenne mich schuldig.« Wir schlendern ins Esszimmer, wo Charisse sich den Teller mit Essen belädt. »Und woran arbeitest du zurzeit?«, frage ich sie.
    »Computerviren als Kunst.«
    »Wow.« Bitte nicht. »Ist das nicht illegal?«
    »Ach, eigentlich nicht. Ich designe sie nur, dann male ich die html auf die Leinwand, dann stelle ich sie aus. Ich bringe sie ja nicht in Umlauf.«
    »Aber jemand anders könnte es tun.«
    »Klar.« Charisse grinst boshaft. »Darauf setze ich meine Hoffnung. Gomez macht sich zwar lustig darüber, aber einige dieser kleinen Zeichnungen könnten der Weltbank, Bill Gates und diesen Schweinen, die die Geldautomaten herstellen, ernsthafte Unannehmlichkeiten bereiten.«
    »Na, dann viel Glück. Wann ist die Ausstellung?«
    »Im Mai.

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